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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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bäumte sich auf. Kenterte. Und Quoyle schwebte unter Wasser.
    In fünfzehn schauerlichen Sekunden lernte er gut genug schwimmen, daß er das gekenterte Boot erreichen und sich an den Schaft des Außenborders klammern konnte. Sein Gewicht zog eine Seite des umgekehrten Hecks nach unten und hob den Bug ein wenig, aber genug, daß eine heranrollende Welle das Boot erwischte, es umkippte und füllte. Quoyle, der wieder durch das durchsichtige Meer taumelte, sah das fahle Boot unter sich sinken, beiläufig nach unten treiben, während auf seinem Weg in die Tiefen die vertrauten Einzelheiten von Rumpf und Anstrich verschwammen.
    Er kam wieder an die Oberfläche, nach Luft ringend, halb blind von irgend etwas Brennendem in seinen Augen, und sah blutiges Wasser tropfen.
    Wie dumm, dachte er, wie dumm, zu ertrinken, wo die Kinder noch so klein sind. Keine Rettungsweste, kein treibendes Ruder, kein Sinn. Und auf ging es mit ihm auf einer Woge, getragen vom Körperfett und einer Lunge voll Luft. Er trieb. Eineinhalb Meilen von beiden Ufern entfernt trieb Quoyle in den kalten Wellen. Die verknotete Schnur schwamm vor ihm, und ungefähr fünf Meter weiter schaukelte eine rote Kiste – die Plastikbox für das Eis, das er vergessen hatte. Durch eine Flottille von Streichhölzern, die aus der Einkaufstüte ins Boot gefallen sein mußten, strampelte er auf die Box zu. Er wußte noch, daß er die Streichhölzer gekauft hatte. Vermutete, daß sie eines Tages ans Ufer gespült würden, kleine Stäbchen, die Köpfe weggewaschen. Wo würde er sein?
    Er packte die Griffe der Kühlbox, legte seine Brust auf den Deckel. Blut von seiner Stirn oder seinem Haaransatz, aber er wagte es nicht, loszulassen, um nach oben zu langen und die Wunde zu berühren. Er konnte sich nicht erinnern, aufgeschlagen zu sein. Das Boot mußte ihn erwischt haben, als es kenterte.
    Die Wellen schienen berghoch, aber er hob und senkte sich mit ihnen wie ein Splitter, achtete auf die grünen Brecher, die ihn unter sich begruben, die aufsteigenden, hinterlistigen Kronen, die ihm Salzwasser in die Nase trieben.
    Es war beinahe Ebbe gewesen, als er den toten Mann gesehen hatte, vor vielleicht zwei Stunden. Jetzt mußte die Flut wieder kommen. Seine Uhr war weg. Aber gab es nicht eine Stunde Stauwasser zwischen dem Gezeitenwechsel? Er wußte wenig über die Strömungen in der Bucht. Der Mond in seinem letzten Viertel bedeutete die kürzere Nippflut. An der Westseite, sagte Billy, gab es komplizierte Wasserverhältnisse, Untiefen und Riffs und scharfe Unterwasserklippen. Er fürchtete, der Wind würde ihn fünf Meilen weiter in die Meerenge treiben und dann aufs Meer hinaus, Richtung Irland auf einer Kühlbox. Wenn er nur näher an der Westküste gewesen wäre, der Leeküste, wo das Wasser sanfter war und er sich vielleicht zum Felsen hätte durchschlagen können.
    Es verging eine lange Zeit, Stunden, dachte er. Er spürte seine Beine nicht mehr. Wenn er auf den Wellen hochstieg, versuchte er zu erspähen, wo er war. Die Westküste schien jetzt näher zu sein, aber trotz des Windes und der hereinkommenden Flut bewegte er sich auf das Ende der Landzunge zu.
    Später war er überrascht, als er den Steinhügel erspähte, den er am Morgen umschritten hatte. Mußte in einer Kabbelung sein, die ihn das Ufer entlang bis zur Spitze trieb, zu den Höhlen, zu dem toten Mann. Ironie, wenn er so enden sollte, in die dröhnenden Wasserhöhlen gleiten und wieder heraus, als Gefährte des Mannes in Gelb.
    »Nicht solange ich diese heiße Kiste habe«, sagte er laut, denn inzwischen kam es ihm so vor, als wäre die rote Kühlbox mit glühender Holzkohle gefüllt. Er schloß darauf, weil sein Kiefer unkontrollierbar klapperte, wenn er sein Kinn von dem Deckel hob, und das Klappern nachließ, wenn er es wieder auf die Kiste legte. Nur eine herrliche Hitze konnte diese Wirkung haben.
    Er war überrascht, als er sah, daß es fast Abend war. In gewisser Weise war er froh, weil das bedeutete, daß er bald zu Bett gehen und etwas Schlaf bekommen konnte. Er war ungeheuer müde. In die steigenden und fallenden Wogen würde es sich köstlich weich sinken lassen. Das hatte er herausgefunden. Er wußte nicht, warum es ihm nicht schon vorher eingefallen war, aber der gelbe Mann war gar nicht tot. Schlief. Ruhte. Und in einer Minute, dachte Quoyle, würde er sich auf die Seite drehen und etwas Schlaf bekommen. Sobald die Lichter ausgeschaltet wurden. Aber das harte Licht schien ihm direkt in die

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