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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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ihm nach Hause dringen. Laß die Sache einfach laufen und mich heute oder morgen abend bei seinen Stellingen vorbeischauen. Der Krebsgang ist bei Jack am besten.«
    » Gammy Bird. Tert Card am Apparat. Ach ja, Jack.« Tert Card hielt den Telefonhörer gegen die Pulloverbrust, sah Quoyle an. Unfreundliches Morgenlicht.
    »Will dich sprechen.« Sein Tonfall wies auf schlechten Geschmack oder Verrücktheit seitens Jacks.
    »Hallo.« Auf Beschimpfungen gefaßt.
    »Quoyle. Hier Jack Buggit. Du schreibst deine Kolumne. Wenn du ins Fettnäpfchen trittst, dann sagen wir, es liegt daran, daß du in den Staaten aufgewachsen bist. Tert hält seine Finger da raus. Gib ihn mir wieder.«
    Quoyle hielt das Telefon hoch und winkte Card. Sie konnten Jack keifen hören. Langsam wandte Tert Card sein Gesicht zum Fenster, zum Meer, den Rücken zum Büro. Während die Minuten vergingen, trat er von einem Fuß auf den anderen, setzte sich auf den Rand seines Schreibtischs, wühlte in Ohren und Nasenlöchern. Er schaukelte, wechselte den Hörer von einer Schläfe zur anderen. Schließlich wurde das Telefon still, und er legte auf.
    »Na schön«, sagte er ruhig, obwohl seine roten Backen brannten, »Jack meint, er will versuchen, Quoyles Kolumnen zu bringen, wie sie kommen. Vorläufig jedenfalls. Also machen wir’s einfach so. Aber er hat eine Idee zur Autounfall-seite. Ihr wißt, es gibt Wochen, in denen wir keine guten Unfälle haben und aufs Archiv zurückgreifen müssen. Also, Jack will Schiffsunfälle dazunehmen. Er sagt, daß bei der Fischer-versammlung davon die Rede war, daß es im vergangenen Jahr über dreihundert gefährliche Bootsunfälle und -verluste gab. Quoyle, du sollst über Bootsunfälle schreiben und dir Fotos besorgen, genauso wie du’s bei den Autounfällen machst. Es gibt so viele, daß wir immer eine frische Katastrophe haben können.«
    »Daran besteht kein Zweifel«, sagte Quoyle und sah Tert Card an.

26
    Toter Mann
    »Toter Mann: ein nicht belegtes, loses Tauende an den Segeln oder in der Takelage.«
     
    SEEMANNSLEXIKON
     
    Ende September, Ebbe, Mond im letzten Viertel. Das erste Mal, daß Quoyle in dem grünen Haus allein war. Die Tante war übers Wochenende nach St. John’s gefahren, um Knöpfe und Musselin zu kaufen. Bunny und Sunshine hatten gebrüllt, daß sie zu Martys Geburtstag bei Dennis und Beety übernachten wollten.
    »Sie ist meine beste Freundin, Dad. Ich wollte, sie wäre meine Schwester«, sagte Bunny leidenschaftlich. »Bitte, bitte, bitte, laß uns über Nacht bleiben.« Und im Imbiß-Geschenke-laden »Zum Fliegenden Tintenfisch« wählte sie als Geschenk für Marty einen Ring aus perlfarbener Muschelschale, gepunktetes Papier zum Einwickeln.
    Am Freitag nachmittag fuhr Quoyle in seinem verspotteten Boot mit einer Tüte Lebensmittel, zwei Sechserpacks Bier über die Bucht. All seinen Aufzeichnungen und der Schreibmaschine. Einem Stapel Bücher über Schiffahrtsregeln im
    19. Jahrhundert und Verstöße dagegen. In der Küche bückte er sich, um das Bier in die Eisbox unter der Spüle zu stellen, dann fiel ihm das Eis ein. Er hatte welches besorgen wollen, aber die leere Box war immer noch leer, immer noch im Boot. Es war egal. Am Abend trank er das Bier, wie es war, kritzelte beim Licht der Gaslampe.
    Am Samstag stapfte Quoyle in den untermöblierten Zimmern herum; die staubige Luft schien sich zu kräuseln, als er sich hindurchbewegte. Bis Mittag hackte er Holz; Bier, zwei Dosen Sardinen und eine Dose Limabohnen. Am Nachmittag arbeitete er am Küchentisch, fing mit seinem ersten Entwurf an, haute auf die Tasten, fluchte, wenn seine Finger zwischen ihnen steckenblieben, schrieb über Samuel Plimsoll und seine Linie.
    »UM HIMMELS WILLEN, HELFEN SIE MIR!«
    Die Plimsollmarken oder Ladelinien an einem Schiff hat jeder schon einmal gesehen. Sie bezeichnen, bis zu welchem Grad ein Schiff sicher Ladung aufnehmen kann. Diese Ladelinien verdanken sich einem einzigen besorgten Menschen: Samuel Plimsoll, der 1868 zum Abgeordneten von Derby gewählt wurde. Plimsoll kämpfte für die Sicherheit der Seeleute zu einer Zeit, als skrupellose Schiffseigner absichtlich überladene alte Schiffe auf See schickten. Plimsolls kleines Buch Unsere Seeleute beschrieb schlechte Schiffe, die so schwer mit Kohle oder Eisen beladen waren, daß ihre Decks überspült wurden. Die Eigner wußten, daß die Schiffe sinken würden. Sie wußten, daß die Mannschaften ertrinken würden. Sie taten es der Versicherung wegen.

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