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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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gegen einen 67jährigen aus Misky Bay fallengelassen, als seine 14jährige Tochter die Aussage verweigerte.
    Dr. Simon Booty (71) aus Distant Warren wurde unter der Anklage festgenommen, sich von Mai 1978 bis Juli 1991 an sieben Patientinnen sexuell vergangen zu haben. Er steht am 31. Januar vor dem Landgericht.
     
    Wartete, biß sich auf die Daumennägel.
    Quoyle sah Billy an, der die Augenbrauen leicht hochzog. Nutbeem hätte zwei herzzerreißende Geschichten herausgequetscht.
    »Der übrige Stoff war super. Der andere Gerichtsstoff? Ich hab’ nette Sachen.«
    »Und wie sollen die netten Sachen aussehen?« fragte Quoyle.
    »Zwei Typen hier werden mit allem beschuldigt, was man sich vorstellen kann. Hatten ’nen Zusammenstoß mit Wildhütern. Anklage lautet auf Tragen von Feuerwaffen außerhalb der Jagdsaison, Hinderung von Wildhütern an der Ausübung ihrer Pflicht, Angriff auf Wildhüter mit spitzen Ästen und Hummerkörben, Zerschlagen der Polaroid-Sonnenbrillen der Wildhüter, verbale Bedrohung der Wildhüter. Hier ist noch ’ne Geschichte von ’nem Typen, angeklagt wegen Besitz von Kupferdraht. Im Wert von viertausend Dollar. Anklage lautet außerdem auf Haschischhandel. Und dann hab’ ich ’nen Jugendlichen auf Diebestour. Klaut ein Fahrrad in Lost All Hope, fährt damit elf Meilen bis Bad Fortune, dort klaut er ein Motorrad und schafft es bis Never Once. Aber der Junge hat Ehrgeiz. Läßt das Motorrad stehen und klaut ein Auto. Fährt das Auto ins Meer und schwimmt bei Joy in the Morning ans Ufer. Wo zufällig zwei Bundespolizisten mit ihrem Streifenwagen parken und Krapfen essen. Und fünf Anklagen wegen Betrug an der Arbeitslosenversicherung. Und vier Schlepperkapitäne mit Strafen über je zweitausend Dollar, weil sie in gesperrten Gewässern Rotbarsch fingen. Ein Typ unten in No Name hat dreißig Tage fürs Fischen in Küstengewässern bekommen. Alle möglichen Autounfälle. Und ’ne Menge Fotos. Ich mach’ gern Fotos. Ich kann doppelt Karriere machen. Als Reporter und als Fotograf.«
    »Schreib sie mit ein paar mehr Details zusammen als in deinen Geschichten über Sexualmißbrauch.« Quoyle tat ruppig, ausgekocht.
    »Ja, das Verbrechenszeug könnt’ ich den ganzen Tag schreiben. Aber nicht das Sexzeug.« Mit gespitzten Lippen. »Die Kriminalartikel und die Arbeit mit der Kamera betrachte ich als meine große Chance.«
    Chance wozu, fragte sich Quoyle. Doch da saß er an Tert Cards Fenster mit dem Telefonhörer am Ohr, jagte die Artikel durch den Computer, klebte den Umbruch, brachte ihn hinunter nach Misky Bay in die Druckerei. Als die Zeitung diese Woche herauskam, riß er die Seite mit dem Impressum heraus und schickte sie Partridge: Chefredakteur: R. G. Quoyle.
    Und so ging es weiter, Geschichten von im Eis steckengebliebenen Frachtschiffen, ein Matrose, der vom Seenotrettungsdienst aus der Luft befreit wurde, weil er zwischen wasserdichten, elektrisch betriebenen Türen festsaß, ein Hecktrawler, der nach einer Explosion im Maschinenraum ein Spiel der Wellen war, ein Kühltrawler der Fischfabrik, der von den Untiefen zurückerobert wurde, ein Matrose, der bei rauhem Seegang auf einem Forschungsschiff über Bord ging und nicht wieder auftauchte, Flugzeugabstürze und Ölverseuchungen, Wale, die sich in Netzen verfingen, illegaler Billigverkauf von Fischeingeweiden im Hafen, Medaillen für Feuerwehrleute und Schönheitsköniginnen, gewalttätige Ehemänner, ertrunkene Jungen, verschollene und wiederaufgetauchte Forscher, Schiffe, die bei stürmischer See sanken, ein Fischerboot, das von einem Eisbrecher angefahren wurde, ein Lotteriegewinner, Beschlagnahme illegalen Elchfleisches.
    Und der Tante schickte er die Kopie eines Polizeiberichts. Mrs. Melville war zusammen mit dem Steward von der Tough Baby in Hawaii festgenommen worden. Ein gutaussehender Mann, dreißig Jahre jünger als sie, in Giorgio-Armani-Kleidung und am Steuer eines Lexus LS 400 mit Funktelefon. »Ich hab’s aus Liebe getan«, gestand sie. Der Steward sagte nichts.
    Alles ein Tagwerk.

36
    Zwangsjacke
    Zwangsjacke: Jacke aus starkem Stoff wie zum Beispiel Segel-tuch, bei welcher der Körper eng zusammengeschnürt wird, um Tobsüchtige oder rabiate Geisteskranke, gewalttätige Kriminelle usw. bewegungsunfähig zu machen. Einige fesseln die Arme an den Körper, andere haben lange Ärmel ohne Öffnungen, deren Enden zusammengebunden werden können.
     
    Der Norden neigte sich der Sonne zu. Als das Licht sich aus-breitete,

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