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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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haben überhaupt keine Kontrolle mehr übers Fischen. Wir treffen keine Entscheidungen, tun bloß, was sie uns sagen, und zwar wo und wann sie’s uns sagen. Wir leben nach Regeln, die woanders gemacht werden, von Arschlöchern, die von der Gegend hier keine blasse Ahnung haben.« Eher ein harsches Ausatmen als ein Seufzer.
    Aber, dachte Quoyle, so war es überall. Jack hatte Glück, daß er so lang davongekommen war.
     
    Ende Februar kamen Papiere aus St. John’s, die er als nächster Angehöriger unterschreiben sollte, Papiere, um den alten Onkel auf immer einzusperren. Wahnvorstellungen, Altersschwachsinn, schizophrene Persönlichkeit. Aussichten: schlecht. Er saß da und starrte auf die gepunkteten Linien. Konnte nicht so einfach unterschreiben, daß ein unbekannter Mann, mit dem er nur einen Satz geredet hatte, der nur Knoten gegen ihn gebunden hatte, den Rest seines Lebens verlieren sollte. Er wollte in die Stadt fahren und den alten Onkel besuchen, ehe er etwas unterschrieb. Angenommen, er blickte wild, sabbernd und irr? Das erwartete er. Angenommen, er war bei Verstand und voller Vorwürfe? Das erwartete er ebenfalls.
    In letzter Minute fragte er Wavey, ob sie mitkommen wollte. Tapetenwechsel, sagte er. Sie könnten essen gehen. In einen Film. Zwei Filme. Wußte aber, daß er etwas anderes sagte.
    »Es wird lustig.« Das Wort klang aus seinem Mund dämlich. Wann hatte er es je ›lustig‹ gehabt? Oder Wavey, deren rissiges Gesicht bereits die Falten mittleren Alters hatte, die Trockenheit ausstrahlte, jenseits von Ofenhitze und Wind? Was war überhaupt los? Alle beide der Schlag, der mit gezwungenem Lächeln dasteht und zusieht, wie andere tanzen, sich auf Barhockern drehen, kegeln. Es lustig haben. Aber Kino mochte Quoyle, die Dunkelheit, die Umrisse der Haare Fremder auf der Leinwand, den Geruch nach Erdnüssen und Shampoo, knirschendes Popcorn zwischen den Zähnen. Er konnte seinem Kinn und seiner massigen Gestalt davonfliegen, hinein in die weißen Kleider und schlanken Körper auf der Leinwand.
    Wavey sagte ja. Herry könne bei ihrem Vater bleiben. Ja, aber ja.
     
    Ein paar zerrissene Fetzen frühmorgendlicher Wolken in der Form und Farbe von Lachsfilets. Der zarte, grünliche Himmel, der härter wurde, während sie zwischen hohen Schneewällen entlangfuhren. Ein Lichtrand flutete langsam hoch, durchtränkte das Auto. Quoyles gelbe Hände mit bronzenen Haaren ums Steuer, Waveys braunes Sergekostüm wie Goldstoff. Dann kam das gewöhnliche Tageslicht, das Schwarzweiß der Landschaft aus Eis, Schnee, Fels und Himmel.
    Quoyles schweifende Gedanken ließen ihm nichts zum Reden, nichts, um das Schweigen zu brechen, das zwischen ihnen anschwoll. Nuschelte eine dumme Frage nach Alvin Yarks endlosem Lied. Interessierte sich aber nicht dafür. Wollte einfach mit etwas anfangen.
    »Singt das, so lange ich denken kann. Die Gandy Goose sank auf See, und die Bruce war das Schiff, auf dem sie die Elche transportierten. Elche aus Neubraunschweig. Ich weiß nicht, wann, damals, so um den Ersten Weltkrieg. In Neufundland gab es keine Elche, bevor sie sie herbrachten.« Für sie bedeutete es auch nichts, aber der Austausch von Stimmen in dem brummenden Auto machte Mut. Ihr fiel ein Junge in der Schule ein, der über sein Mittagessen aus schimmeligen Crackern weinte. Sie hatte ihm ihr Fleischsandwich geschenkt, Scheiben kalten Elchbratens.
    »Jetzt gibt’s genug davon«, sagte Quoyle lachend, wollte die rissige Hand ergreifen. Es wirkte wie ein Omen, als sie neben dem Highway in einer zugefrorenen Suhle eines der Tiere sahen.
    Mittags fuhren sie schon an offenen Häfen vorbei, und der Anblick des blauen Wassers machte sie beide glücklich. Blau nach Monaten voll Eis.
    Wavey in den Geschäften an der Water Street, aufgeregt und erschrocken über die Gerüche von neuem Leder, duftenden Warenlagern, Verkehrsabgasen. Sie kaufte Herry eine Spielzeugkuh, ihrem Vater eine lange Unterhose. Eine Schachtel mit Grußkarten für jede Gelegenheit im Sonderangebot. Ein Schälmesser mit rotem Griff als Ersatz für den Stummel in der Küchenschublade. Einen Büstenhalter mit Blütenmuster in Edelsteinfarben. Es gab prächtige Shetlandwolle, aus der sich ein Norwegerpullover hätte machen lassen. Aber sie war zu teuer. Ihr fiel das Schaufenster eines Fischhändlers auf, wo auf einem Eisbett eine wunderbare Szene aus Fischen dargestellt war. Ein Skiff aus Flunderfilets schwamm auf Wellen aus Krabben und blauschwarzen Muscheln. Ein

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