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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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einen vom Rum verwahrlosten Ex-Reporter der London Times gearbeitet, der ein vierseitiges Blättchen im Sprachenmischmasch herausgab.
    »Da habe ich mir zum erstenmal in den Kopf gesetzt, mir ein Boot anzuschaffen«, sagte Nutbeem und nahm sich eine Dattel aus dem Paket auf seinem Tisch. »Weil ich an der Küste gelebt habe, glaube ich, und jeden Tag Boote und Wasser sah. Die jangadas sah - das sind ungewöhnlich kleine Fischerboote, bloß eine Plattform aus einem halben Dutzend dürrer Balken – so ähnlich wie Balsaholz -, mit Holzdübeln zusammengesteckt und mit Fasern zusammengebunden. Werden vom Wind angetrieben, mit einem Ruder gelenkt. Die Welt bestand früher einmal ganz aus Knoten und Tauen – sich biegen und nachgeben hieß es vor der rohen Gewalt von Nägeln und Schrauben. Sagt Ihnen was, wie? Von weitem sieht es so aus, als würden die Fischer auf dem Wasser stehen. Und das tun sie im Grunde auch. Das Wasser überspült die Plattform glatt. Und ihre Füße.« Er war aufgestanden und tigerte hin und her, reckte das Kinn zur Decke.
    Da mischte Billy sich ein. »So waren auch die alten Komatiks , die Eskimoschlitten, gemacht. Da gab’s nicht einen Nagel. Alles mit Sehnen und Leder zusammengebunden.«
    Nutbeem ging auf die Unterbrechung nicht ein. »Wie die Boote aussahen, gefiel mir, aber ich habe nichts unternommen. Nach einem Krach mit dem schmierigen Suffkopf von der Times – der lag da auf seinem Wasserbett, spielte auf dem Kamm und trank schwarzen Rum -, flog ich nach Houston, Texas – fragen Sie mich nicht, warum – und kaufte mir ein Tourenrad. Ein Fahrrad, kein Motorrad. Und damit bin ich nach Los Angeles gestrampelt. Die fürchterlichste Fahrt der Welt. Will sagen, Apsley Cherry-Garrard und Scott am Südpol hatten keine Ahnung. Ich machte Sandstürme durch, beängstigende, tödliche Hitze, Durst, eiskalte Winde, Lastwagen, die mich umzubringen versuchten, Fahrradpannen, einen heftigen Kältesturm, sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen, Wölfe, Rancher in einmotorigen Fliegern, die Mehlbomben abwarfen. Und, Quoyle, das einzige, was mich bei all dem aufrecht hielt, war der Gedanke an ein kleines Boot, ein leichtes, süßes Segelboot, das durch kühles Wasser gleitet. Die Idee setzte sich fest. Ich schwor mir, sollte ich jemals von diesem beschissenen Fahrradsattel runterkommen, der mir inzwischen in die Arschritze eingeschweißt war, sollte ich jemals von dem Ding loskommen, dann würde ich mich an die See halten und mich nie wieder von ihr trennen.«
    Das Telefon schellte wieder.
    » Gammy Bird! Jo. Jo, Jack, er ist da. Nein, Nutbeem ist gerade los, um über einen Brand zu berichten. Die Tankstelle von Marcus. In Four Hands Cove. Weiß ich nich’. Die haben mir bloß ’ne Telefonnummer gegeben. Jo. Okay. Sobald er zurück is’. Quoyle, ’s is’ noch mal Jack. Für Sie.«
    »Was haben Sie diese Woche geschrieben?« Stimmkugeln schossen aus dem Hörer in sein Ohr.
    »Ah. Den Lkw-Unfall. Bin gerade damit fertig.«
    »Was war das für ein Unfall?«
    »Ein Sattelschlepper hat in der Kurve die Kontrolle verloren und ist nach Desolation reingerast. Hatte neue Motorschlitten geladen. Die Hälfte davon ist ins Wasser gekippt, und alle Boote im Hafen haben sich drangemacht, sie mit Greifern rauszuholen. Der Fahrer ist abgesprungen. Keiner verletzt.«
    »Vergessen Sie die Schiffsmeldungen nicht.« Die Leitung war tot.
    » Nutbeem! Kümmere dich lieber um das Feuer, bevor es aus ist und du keine netten Bilder mehr von den züngelnden Flammen kriegst. Und nimm die Kamera mit. Kann nicht schaden, wenn man Bilder machen soll.« Ätzender Sarkasmus.
    »Warum kaufen Sie sich nicht ein schönes kleines Rodney? « fragte Billy Pretty. »Ist jetzt genau die richtige Zeit, so ’ne Schönheit aufzugabeln. An den Wochenenden könnten Sie nach Groppen fischen, sich von den Touristen fotografieren lassen. Sie würden sich gut machen in ’nem Boot.«
    Aber Nutbeem war noch nicht soweit. »Also, Quoyle, ich war also wieder in London, wieder am Verhungern. Wenigstens war meine Kassettensammlung heil. Aber daß ich ein Boot brauchte, das wußte ich. Ich war verzweifelt. Sie denken vielleicht, die Gleichung heißt ›Boot und Wasser‹. Weit gefehlt. Sie heißt ›Boot und Geld‹. Das Wasser ist eigentlich überflüssig. Darum stehen so viele Boote auf Hinterhöfen.
    Weil ich kein Geld hatte, war ich verzweifelt. Ich verbrachte ein ganzes Jahr damit, Bücher über Boote und das Meer zu lesen. Ich fing an,

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