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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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auf Bootswerften herumzulungern. Auf einer bauten zwei junge Typen ein Ruderboot. Sie schienen eine Menge Pläne zu schmieden – das Plänemachen hat mir immer ganz gut gefallen -, und da kam mir die Erleuchtung. Einfach so. Ich würde mir selbst ein Boot bauen. Und mit dem würde ich über den Atlantik segeln.«
    »Nutbeem!« brüllte Card.
    »Ach, buchstabier’ doch ›Pterodactylus‹«, versetzte Nutbeem, zog sich Jacke und Wollmütze über und stürmte zur Tür hinaus.
    »Herrje, er hat die Kamera vergessen. Quoyle, ich soll Sie von Jack aus an die Schiffsmeldungen erinnern. Gehen Sie in die Hafenmeisterei runter, und schreiben Sie die Liste ab. Sie besorgen sich Namen, Datum und Herkunftsland. Übers Telefon sagen die Ihnen die Daten nicht. Sie müssen selber hin.«
    »Das wollte ich heute nachmittag machen«, sagte Quoyle. »Kann aber auch jetzt gehen. Wo ist die Hafenmeisterei?«
    »Neben Pubbys Seefahrtzubehör auf dem öffentlich zugänglichen Kai. Die Treppe rauf.«
    Quoyle stand auf, zog seine Jacke an. Wenigstens war es kein Autounfall mit lauter Glas, sickernden Flüssigkeiten und Rettungssanitätern, die in zerquetschten Mündern herum-fummelten.

9
    Der Muringstek
    »Der Vorteil dieses Steks ist, daß er nicht am Pfosten herunter-rutscht, wenn er richtig angebracht ist. Jeder, der nach einem harten Angeltag seine Vorleine bei Hochwasserstand ein oder anderthalb Meter unter der Hochwassermarke an einem Pfahl festgemacht vorfindet, wird sich schon Gedanken über diesen Knoten gemacht haben.«
     
    DAS ASHLEY-BUCH DER KNOTEN

    Auf der Wharf Road schlängelte er sich durch das Gewirr der Gabelstapler und Winden. Regennaß glänzende Boote. Ein Stück weiter vorn sah er die schwarze Küstenfähre mit ihrer roten Reling Autos aufnehmen, daneben das Lazarettschiff von Labrador. Am städtischen Anlegeplatz die orange Flanke des Such- und Rettungsschiffs der Küstenwache. Für die Fischfabrik fuhr ein Kutter ein.
    Die Wharf Road war mit abgenutzten, blauen Steinen gepflastert, die als Ballast aus einer fernen Gegend hierher befördert worden waren. Meergestank aus Öl, Fisch und schmutzigem Wasser. Jenseits der Kaschemmen und Kneipen ein paar Lebensmittelläden. In einem Schaufenster fiel ihm eine riesige Pyramide aus Dattelpackungen auf, wie Nutbeem sie mochte – Desert Jujubes -, auf dem Markenschild rote Kamele und Kometen.
    Das Büro des Hafenmeisters befand sich oben an einer sandigen Holztreppe.
     
    Diddy Shovel, der Hafenmeister, beobachtete, wie Quoyles gelber Regenmantel aus dem Kombi auftauchte, beobachtete, wie er seinen Notizblock auf das nasse Kopfsteinpflaster fallen ließ. Schätzte ihn als kräftig und unbeholfen ein. Shovel war früher für seine Kraft berühmt gewesen. Mit zwanzig hatte er eine merkwürdige Bruderschaft ins Leben gerufen: den »Fingerklub«. Seine sieben Mitglieder waren alle Männer, die sich an einem einzigen kleinen Finger an einen Balken in Eddy Blunts Keller hängen konnten. Mächtige Männer waren das damals. Als er älter wurde, ergänzte er seine Kraft zunächst mit einer Stentorstimme, später ersetzte er sie dadurch. War jetzt das einzige noch lebende Mitglied des Fingerklubs. An diesem Punkt blieben seine Gedanken oft stehen.
    Eine Minute später öffnete Quoyle die Tür, sah durch die vier Meter hohen Fenster, eine Glaswand mit Blick auf den vernieselten Hafen, die öffentlichen Docks und Piers im Vordergrund und dahinter die trübe, von Nebeldaumen gerubbelte Bucht.
    Ein Quietschen. Ein Drehstuhl aus Holz wirbelte herum, und das fürchterliche Gesicht des Hafenmeisters richtete sich auf Quoyle.
    »Das sollten Sie bei Sturm sehen, wenn die riesigen Wolken von den Bergrücken herunterwallen. Oder den Sonnenuntergang wie ein brennender Vogelschwarm. Die ungeheuerlichste Fensterfront in ganz Neufundland.« Eine Stimme so tief wie ein Ruf in einer Höhle.
    »Das glaube ich«, erwiderte Quoyle. Tropfte auf den Boden. Fand in einer Ecke den Mantelhaken.
    Diddy Shovels Haut war wie Asphalt, rissig und schrundig, von lebenslangen Unwettern dick geworden, dem Schorf des Alters. Durch die runzlige Oberfläche kämpften sich Stoppeln. Seine Augenlider hingen an den äußeren Winkeln in schützenden Falten herunter. Borstige Augenbrauen; vergrößerte Poren verliehen der Nase ein sandiges Aussehen. Die Jacke war an den Schulternähten aufgeplatzt.
    »Ich heiße Quoyle. Neu beim Gammy Bird. Will die Schiffsliste abholen. Für Vorschläge wäre ich dankbar. Was die

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