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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Schiffsmeldungen betrifft. Und für alles andere auch.«
    Der Hafenmeister räusperte sich. MANN IMITIERT ALLIGA-TOR, dachte Quoyle. Stand auf und humpelte hinter den Schalter. Das kühle hohe Licht aus den Fenstern fiel auf ein Gemälde von der Größe eines Bettlakens. Ein Schiff donnerte eine Welle hinunter, und im Wellental ein bereits verlorenes Boot, breitseits. Über die Decks rannten Männer, den Mund zu Schreien aufgerissen.
    Der Hafenmeister zog ein Loseblattbuch heraus, blätterte die Seiten mit dem Daumen durch und reichte das Buch dann Quoyle. EINKOMMEND stand auf dem Deckel; eine Ahnung von Geldgewinn und -verlust, Ladungen, zurückgelegten Entfernungen, der Geruch der Tropen.
    Er folgte Quoyles Blick.
    »Schönes Bild! Das ist die Queen Mary , wie sie gerade ihr Begleitboot, die Curacoa , in den Grund fährt. Damals 1942. Zwanzig Meilen vor der irischen Küste bei klarem Sonnen-schein und kristallner Sicht. Die Queen Mary mit einundachtzigtausend Tonnen, vom Passagierschiff zum Truppentransportschiff umfunktioniert, und der Kreuzer bloß viereinhalbtausend schwer. Hat ihn wie eine gekochte Karotte entzweigeschnitten.«
    Quoyle schrieb, bis er einen Krampf in der Hand bekam, dann entdeckte er, daß er die Schiffe notiert hatte, die vor zwei Wochen eingetroffen waren.
    »Woran sehe ich, daß die Schiffe noch da sind?«
    Der Hafenmeister zog noch ein Buch hervor. Preßspandeckel. Das Wort AUSGEHEND war mit zittrigen Buchstaben eingebrannt.
    »Ha-ha«, machte Quoyle. »Die sollten Ihnen lieber einen Computer hinstellen. Die Logbücher sehen nach einer Menge Arbeit aus.«
    Der Hafenmeister deutete auf eine Nische hinter dem Schalter. Ein Computerbildschirm wie kochende Milch. Der Hafenmeister drückte Tasten, und in königsblauen Buchstaben sprangen Schiffsnamen hervor, Tonnagen, Eigner, Land der Registrierung, Ladungen, Ankunfts- und Abfahrtsdaten, zuletzt angelaufener Hafen, nächster Hafen, Anzahl der Tage seit dem Auslaufen aus dem Heimathafen, Crewstärke, Name des Kapitäns, Geburtsdatum und Versicherungsnummer. Der Hafenmeister tippte weiter, und ein Drucker summte los, das Papier rollte in einen Plastikkorb. Er riß Seiten ab, reichte sie Quoyle. Die »Schiffsmeldungen«.
    Rissiges Grinsen, das falsche Zähne bis zur Wurzel entblößte. »Jetzt merken Sie sich bestimmt, daß wir es auf zwei Arten machen«, sagte er. »Wenn nämlich der Sturm tobt und der Strom weg ist, dann braucht man nur in die alten Bücher zu schauen, und alles ist da. Trinken Sie ’ne Tasse Tee. Gibt nichts Besseres an einem nassen Tag.«
    »Gern«, erwiderte Quoyle. Setzte sich auf die Stuhlkante. Wasser rann in Strömen die Fensterscheibe hinunter.
    »Runter da«, sagte der Hafenmeister und schubste eine Katze von einem Stuhl. »Es kommt jetzt eine gute Palette von Schiffen hierher. In der Omaloor Bay hat’s tiefes Wasser fast bis zur Küste. Vor zwei Jahren hat die Regierung siebzehn Millionen Dollar in den Ausbau des Hafens gesteckt. Den Pier erneuert, einen neuen Containerterminal gebaut. Sechzehn Kreuzfahrtschiffe sollen dieses Jahr anlegen. Die bleiben nicht länger als einen Tag oder so, aber, Junge, Junge, wenn die einen Fuß auf den Pier setzen, dann fangen sie an, mit dem Geld um sich zu schmeißen.«
    »Wie lang machen Sie das schon?«
    »Kommt darauf an, was Sie mit ›das‹ meinen. Zur See bin ich zum erstenmal gefahren, da war ich dreizehn – als einfacher Matrose auf dem Sechzig-Tonnen-Segelschoner von meinem Onkel Donnal. Hab’ die ganze Küste rauf und runter gearbeitet. Da hab’ ich meine Kraft gekriegt. Ja, er hat mich gefüttert wie einen König. Und mich hart schuften lassen. Dann hab’ ich eine Zeitlang auf einem Dory gefischt, draußen an den Belle-Isle-Bänken, auf die alte Art. Ich hab’ auf einer Küstenfähre gearbeitet. Ich war in der Handelsmarine. Im Zweiten Weltkrieg Kapitänleutnant der kanadischen Marine. Nach dem Krieg bin ich zur Küstenwache. Und 1963 hab’ ich dieses Büro als Hafenmeister von Killick-Claw bezogen. Dreißig Jahre. Nächstes Jahr geh’ ich in Rente. Siebzig Jahre jung, und sie schmeißen mich raus. Werd’ wahrscheinlich Banjospielen lernen. Falls ich’s schaff’, die Saiten ganz zu lassen. Manchmal kenne ich meine eigene Kraft nicht. Und Sie?« Bog die Finger durch, daß die Gelenke knackten wie Astknorren im Feuer. Zeigte einen kleinen Finger, dick wie eine Rübe.
    »Ich. Ich arbeite bloß für die Zeitung.«
    »Sie sehen aus, als würden Sie von hier stammen,

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