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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Wie erstarrt. Die geringste Bewegung, und er wäre über ihr, würde ihr die Kleider hochschieben, die braunen Strümpfe wegzerren und sie auf die Steine drücken, daß die Strand-fliegen über bloße Haut kröchen, Quoyle, er würde in sie eindringen, ihr sein großes Kinn seitlich in den Hals rammen. Und danach ein stillschweigendes Einvernehmen, eine bittere Komplizenschaft, Verrat. Sie platzte heraus.
    »Weißt du, wie er umgekommen ist? Mein Mann? Herold Prowse? Ich sag’ es dir. Er liegt im Meer. Er liegt unten am Grund. Ich komme nie ans Meer, ohne zu denken: Da liegt Herold. Der alte Billy hat dir davon erzählt, oder?«
    Sie rutschte den Felsen herunter, jetzt sicher, vom Kummer geschützt. Quoyle trat zurück, ließ die Hände baumeln, sah sie an. Die Worte sprudelten.
    »Herold war Schauermann auf der Sevenseas Hector. Die erste anständige Arbeit, die er je hatte. Herrliches Geld, geregelte Arbeit. Alles lief gut für uns. Die größte, sicherste Ölbohrinsel der Welt. Drei Wochen Arbeit, drei Wochen frei. Er war draußen, als sie kenterte. Das Telefon. Früh am Morgen. Am 29. Januar 1981. Ich war auf und angezogen, legte mich aber wieder hin, weil mir so übel war. Ich war mit Herry schwanger. Die Stimme einer Frau war am Telefon, und sie sagt, sagt zu mir: ›Ach, Mrs. Prowse. Wir müssen Ihnen mitteilen, es wird gemeldet, daß die Sevenseas Hector im Sturm gekentert ist und die Männer als vermißt gelten.‹ Im Sturm gekentert, sagte sie. Erst behaupteten sie, es hätte daran gelegen, daß der Sturm so heftig war.
    Aber es waren noch weitere Ölbohrinseln da draußen, nur zwölf Meilen entfernt, und die blieben stehen. Sevenseas Ajax und Deep Blue 12. Die hatten keine Probleme. Stürme wie den, die gibt’s jeden Winter. Es war kein Jahrhundertsturm, den’s nur einmal alle hundert Jahre gibt. Neunundsiebzig Mann vermißt, und nicht eine Leiche wurde je geborgen. Ein paar von ihnen sah man in einem Rettungsboot sinken, die See brach über ihnen herein, und weg waren sie.
    Nach und nach kam es heraus. Wie ein Alptraum, der immer schlimmer wird und aus dem man nicht aufwacht. Die Regierung hatte keine Sicherheitsbestimmungen für diese Dinger. Der Aufbau der Ölbohrinsel war schlecht. Keiner dort wußte, wer die Verantwortung trug. Der Vorarbeiter oder der Meister? Die meisten Männer an Bord hatten keine Ahnung vom Meer. Geologen und Betonierer, Kranführer, Bohrarbeiter, Schweißer und Schlosser, sie waren hinter dem Öl her, achteten nicht auf das Wasser oder das Wetter. Kapierten nicht einmal die Wetterberichte, die sie bekamen. Wußten nicht mal so viel, daß sie die Fensterblenden schlossen, als das Meer hochpeitschte. Das Glas im Bullauge des Ballastraums war zu schwach. Die Kontrolltafel schloß kurz, wenn Wasser eindrang. Ein Brecher zerschmetterte das Bullauge, drang ein und durchnäßte die Tafel. Sie waren nicht richtig ausgebildet. Keine Handbücher. Als die Tafel ausging und sie versuchten, mit ein paar kleinen Messingstäben den Ballast von Hand richtig zu verteilen, machten sie alles falsch, verkehrtrum, brachten die Plattform zum Kippen. Genau wie bei dem Eisberg vorhin. Und sie kenterte. Und die Rettungsboote taugten nichts, und die meisten Männer schafften es gar nicht in die Boote, weil das Lautsprechersystem ausfiel, als die Kontrolltafel versagte. Der Anwalt sagte, es war ein Dominoeffekt.
    Also, ich will deine Gefühle nicht verletzen, aber so steht’s. Ich dachte daran, als ich dem Eisberg beim Untergehen zusah. Ich denke jedesmal daran, wenn ich am Ufer steh’, ich schau den Strand entlang, halb voll Angst, halb in der Hoffnung, Herolds ertrunkenen Leichnam im Seegras zu sehen. Obwohl es jetzt Jahre her ist.«
    Quoyle hörte zu. Mußte er sie ins Inland bringen? Und was war mit Petal, die wie ein injizierter Impfstoff gegen die Liebespest durch seine Adern strömte? Was hatte es für einen Sinn, Waveys trockene Hand zu berühren?
    Sie kamen den Pfad herauf, zum Ödland, blickten zu dem hellen Flecken, dem Kopftuch der Tante, den Kindern, hüpfende Flöhe.
    Quoyle hinter ihr. Ohne nachzusehen, wußte Wavey genau, wo er war.
    Wärme, tiefer Himmel, die Stille – außer den fernen Stimmen der Kinder. Dann – scharf, wie ein Kopfschmerz bisweilen plötzlich aufhört – gab etwas nach, ließ langer Kummer nach. Sie drehte sich um. Quoyle war so nah. Sie setzte an, etwas zu sagen. Ihre sommersprossige, rauhe Haut errötete. Sie stürzte, oder er zog sie hinab. Sie rollten über

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