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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Florida.«
    »Das McGonigle-Feld?« fragte Quoyle.
    »Kaum zu glauben, daß du nicht weißt, daß das größte Ölvorkommen Kanadas direkt vor unserer Küste entdeckt wurde, draußen unter der Großen Neufundlandbank, Millionen und Abermillionen Faß Öl. Das ist das McGonigle-Öl-feld. Wir werden alle reich. Überall Arbeitsplätze, Dividenden für Aktionäre, Fabriken, Wohnungen und Infrastruktur. Das größte Entwicklungsprojekt im Land. Das werden goldene Zeiten.«
    Ein dürrer Mann mit einem Schnurrbart wie ein Strichcode blickte aus der Nische vor ihnen über seine Schulter weg Tert Card an. Quoyle dachte, er könne einer der Aufseher in der Fischfabrik sein. Er aß Hafergrütze und dazu Bologneser Wurst.
    Billy Pretty schnaubte. »Die einzigen, die die Jobs und die wirtschaftlichen Vorteile kriegen, sitzen in St. John’s, vielen Dank. Paß nur auf, bis die soweit sind, daß sie das Öl hoch-pumpen, kommen sie mit der Kernfusion klar und machen soviel sauberen Strom, wie man nur wollen kann, schlicht aus Wasser. Und Neufundland guckt wieder in die Röhre.«
    Quoyle reichte Billy ein Dreieck Toastbrot mit viel Traubenmarmelade darauf. Wie zerbrechlich der alte Mann wirkt, dachte er, so im direkten Vergleich mit dem massigen Tert Card. »Nein, mein Junge, die Fusion kriegen sie nie in Gang. Öl ist die Sache. Neufundland wird zur reichsten Gegend der Welt. Eine neue Ära. Wir werden im Geld schwimmen.«
    Billy Pretty drehte sich zu Quoyle. »Da hörst du die Ölhysterie. « Dann wieder zu Tert Card. »Was kommen wird, is’, daß die internationalen Ölkonzerne den Rahm abschöpfen. Wieviel wird da noch in die Vorhäfen tröpfeln? Die Fremden kriegen das Geld. Es gibt jetzt schon Drogen und Verbrechen hier und Prostituierte, die mit ihren roten Hintern wackeln, und es hat erst angefangen. Vandalismus, Diebstahl und Zerstörungswut. «
    »Das stimmt«, sagte der Aufseher aus der Fischfabrik – die Hafergrütze war gegessen, die Wurst verschlungen, er rauchte die erste Zigarette und war bereit, weit auszuholen. »Schauen Sie doch bloß, wie mitten in Killick-Claw der alte Leuchtturm niedergebrannt wurde. Schauen Sie, wie das Fischereiamt verwüstet wurde.«
    »Und«, sagte Billy, der sich umdrehte, um seinen Verbündeten mit einzubeziehen, »Alkoholismus, moralische Verkommenheit der gemeinsten Art. Scheidung und Grausamkeit und verlassene Kinder, die am Straßenrand rumlungern. Umweltverschmutzung! Der Meeresgrund übersät mit Resten von Kabeln und Fässern und zerbrochenem Metall, das jedes Schleppnetz zerreißen kann. Und was steht bevor? Eine Ölpest nach der andern wird die paar Zwergdorsche auslöschen, die noch übrig sind, den Fischfang vollständig zerstören, das Ufer mit einer schwarzen stinkenden Schaumbrühe überziehen, Boote und Häfen ruinieren. Die Schiffahrtsstraßen werden mit Öltankern und Versorgungsbooten verstopft sein.« Schenkte sich zitternd einen Schluck Tee ein.
    »Er ist ja voll in Fahrt«, spottete Tert Card und betrachtete den schwarzen Schmalztropfen auf seinem Nagel. »Hat die Quellen des Nils geschaut.«
    Billy Pretty blickte Quoyle und den Mann aus der Fischfabrik an, machte den Mund auf, um zu sagen, was er zu sagen hatte.
    Neben ihm wiegte sich Tert Card, tat so, als würde er Geige spielen.
    »Ich hätte gern eine Portion Bratkartoffeln mit Bologneser Wurst«, sagte Quoyle zur Bedienung. Billy holte tief Luft.
    »Ich hab’ erlebt, wie der Kabeljau und der Kapelin von Millionen Tonnen auf zwei oder drei Eimervoll runtergegangen sind. Erlebt, wie die Fischerei sich vom jahreszeitlich bedingten Fang entlang der Küste, kleinen Booten, zu Ganzjahres-Hochsee-Fabrikschiffen und Trawlern entwickelt hat. Jetzt is’ der Fisch vollkommen verschwunden und die Wälder sind abgeholzt. Ruiniert und kaputt! Kein Wunder, daß es hier Gespenster gibt. Das sind die Toten, die von Bulldozern aus dem Grab geholt werden!«
    Endlich kam der Mann von der Fischfabrik zu Wort: »Früher hieß es: ›Ein Mann hat sich sein Leben eingerichtet, wenn er eine Kuh, einen Kahn und einen Kartoffelacker hat.‹ Und wie heißt es jetzt: Jeder ist sich selbst der nächste.«
    »Stimmt genau«, sagte Billy. »Jetzt heißt’s nur noch, dem Geld nachjagen, Plastikschnellboote kaufen, Motorschlitten und komische Hunde vom Festland. In Kneipen rumhängen, morden und stehlen. Sich die Kleider vom Leib reißen und so tun, als wär’ man übergeschnappt. Früher hatten wir ein glückliches Leben hier. Es war

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