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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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sogar fröhlich. Ein fröhliches Leben. Du kannst nicht wissen, wovon ich rede, Tert Card, du mit deinem furchtbaren Drang, nach Florida zu ziehen. Warum meine Luft vergeuden.« Hielt die Teekanne über seine Tasse, aber es kam nichts heraus.
    Tert Cards Mundwerk hatte nur eine Gelegenheit abgewartet. Er sprach alle an, einschließlich der schwitzenden Bedienung, der Köchin, deren Kopf in der Durchreiche auftauchte. »Wenn es noch die alten Zeiten wären, Mr. Pretty, dann wärst du schon tot. Du vergißt die Hongkong-Grippe, die du vor ein paar Wintern hattest, warst im Krankenhaus damit.
    Ich hab’ dich in dem Bett liegen sehen, grau wie ein toter Dorsch, daß ich gedacht hab’, na, dem langt’s. Aber du hast Antibiotika gekriegt und Sauerstoff und alles und hast überlebt. Und jetzt beißt du die Hand, die dich gerettet hat. Keiner, keiner, der ganz bei Trost ist, würde zu den harten, harten Zeiten zurückkehren. Die Leute waren bloß freundlich, weil das Leben so dreckig war, daß sie sich keine Feinde leisten konnten. Es hieß, sich abstrampeln oder untergehen. Und in so einer Lage werden die Leute sehr nett.« Sog die Luft durch die Zähne.
    Die Köchin rief aus der Küche: »Ich sage, laßt die Fischerei sein. Laßt den Ölleuten freie Hand. Schlechter kann’s nicht werden, höchstens besser.« Lachte, um zu zeigen, daß es ein Witz war. Falls nötig.
    »Lassen Sie das einige Ihrer Gäste lieber nicht hören, oder Sie sind im Nu Tapetenkleister.« Der Mann aus der Fischfabrik stand auf, holte sich einen Zahnstocher.
    »Von mir wird das jeder hören!« brüllte Tert Card. »Öl ist stark und Fisch ist schwach. Da gibt’s keinen Vergleich. Die ganze Welt braucht Öl. In Öl steckt die dicke Kohle. Es gibt zu viele Fischer und zu wenig Fisch. Darauf läuft’s doch raus. Also, gehen wir jetzt in die Redaktion und basteln die blöde Zeitung zusammen. Quoyle, hast du deine Bootsgeschichte?« Schrie immer noch. Den ganzen Kopf voll hitziger Wut.
    »Nur zu«, sagte Billy, der sie gelesen hatte, der zugehört hatte, wie Quoyle am Telefon eine Woche lang von Öl geredet hatte, ihn noch ölverschmiert von Cape Despond hatte zurückkommen sehen, die Notizen ein schmieriges Bündel, weil er sich unter die Retter erledigter Seevögel gemischt hatte. »Gib ihm die Geschichte, und wir sehen Tert Card, den Ölkönig, an einem Anfall ersticken. Man könnte meinen, er hätte eine Million Dollar in Ölaktien. Pah, zwei Aktien von Mobil hat er. Zwei!« Zuckte mit dem Kopf wie eine Schlange.
    »Sie liegt auf meinem Schreibtisch«, sagte Quoyle.
    »Das vergesse ich dir nicht, Billy Pretty«, sagte Card, auf dessen Wangen Flecken groß wie Untersetzer brannten.
     
    Die kurze Prozession nach Flour Sack Cove, mitgenommener Kaffee, der übers Armaturenbrett schwappte, das Lenkrad klebrig von Krapfenzucker. Zehn Minuten später reichte Quoyle Tert Card seine Kolumne, sagte nichts, beobachtete, wie seine Augen hin und her huschten. ANGESTELLTE ERWARTEN ANFALL.
    NIEMAND HÄNGT EIN BILD VON EINEM ÖLTANKER AUF
    An der Wand der Gemeindebibliothek von Killick-Claw hängt ein Foto von 1904. Darauf zu sehen sind acht Schoner in der Omaloor Bay auf dem Weg zu den Fischgründen, die Segel gebläht wie weiße Schwingen. Sie sind unvergleichlich schön. Es bedurfte großer Geschicklichkeit und Navigationskenntnis, um sie zu segeln. Heute ist der vertrauteste Anblick am Meereshorizont das niedrige schwarze Profil eines Öltankers. Öl, roh oder raffiniert, ist – ausnahmslos – das wichtigste internationale Handelsgut.
    Ein anderer vertrauter Anblick ist schwarzer Ölschaum meilenweit am Ufer entlang wie etwa diese Woche an der Küste von Cape Despond. Am Montag morgen beobachteten Hunderte von Menschen, wie 14 000 Tonnen Rohöl aus einem geborstenen Tank der Golden Goose ans Ufer gespült wurden. Tausende von Seevögeln und Fischen kämpften in dem Öl ums Überleben, Fischerboote und -netze wurden verseucht. »Das ist das Ende hier«, sagte der 87jährige Jack Eye aus Little Despond, der in jungen Jahren als Doryfischer zur Schonerflotte gehörte.
    Unsere Welt läuft mit Öl. Über 3000 Tanker durchpflügen die Weltmeere. Darunter sind die größten beweglichen Objekte, die der Mensch je geschaffen hat, die VLCC (Very Large Crude Carriers = Sehr große Rohöltanker), die über 400 Meter lang sind und über 200 000 Tonnen Ladegewicht haben. Bei vielen dieser Schiffe ist der Rumpf nicht unterteilt. Manche sind alt und verrostet, schwach

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