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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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auch ist.« Zog aber los, um zwischen den Felsen nach einem passenden Gartenbeet zu suchen. War noch nicht zu spät zum Salatsäen. Dachte, ein Treibhaus wäre nicht schlecht.
    Der Tag war warm, Wind schlitterte über die Bucht, kräuselte das Wasser zu Katzenpfoten. Die Tante nahm den melancholischen Geruch von umgepflügter Erde wahr. Quoyle roch Farbe, bis er Kopfschmerzen bekam.
    »Da kommt wer«, sagte die Tante, auf ihren Spaten gelehnt. »Zu Fuß auf der Straße.«
    Quoyle schaute, aber da war niemand.
    »Wo?«
    »Gleich hinter der Fichte mit dem abgebrochenen Ast. Vom Bulldozer abgebrochen, möchte ich hinzufügen.«
    Sie starrten auf den Weg Richtung Handschuhfabrik, Richtung Straße.
    »Ich hab’ jemand gesehn«, sagte die Tante. »Ich konnte die Mütze und die Schultern sehen. Ein Mann.«
    Quoyle ging wieder zu seinem Farbkübel, aber die Tante schaute und stieß schließlich die Schaufel in den Boden, daß sie von selbst stehenblieb, ging auf die Fichten zu. Dort war niemand. Sah aber Fußspuren von Fischerstiefeln ins Gestrüpp verlaufen – ein Elchpfad, dachte sie, der in eine wilde Marsch aus teefarbenem Wasser und ledrigem Gebüsch führte.
    Sie holte tief Luft, suchte am Straßenrand nach Hundespuren. Und war sich nicht sicher.
    »Es ist der alte Mann«, sagte Quoyle. »Muß er sein.« »Was für ein alter Mann?« »Billy Pretty sagt, er ist mit den Quoyles verwandt. Sagt, er ist ein zäher alter Bursche. Wollte bei der Umsiedlung nicht von Capsize Cove fort. Blieb ganz allein da. Billy meint, er ist vielleicht ein wenig aufgebracht, weil wir in dem Haus sind. Das habe ich dir doch gesagt.«
    »Nein, hast du nicht, Neffe. Und wer in aller Welt soll das sein?«
    »Ich weiß, daß ich dir davon erzählt habe.«
    Die Tante fragte vorsichtig, wie der Name lautete.
    »Ich weiß es nicht. Einer von den alten Quoyles. Seinen Namen weiß ich nicht mehr. Irgendwas Irisches.«
    »Das glaub’ ich nicht. Von denen ist keiner mehr da. Weißt du, manche Quoyles hatten keinen besonderes guten Ruf«, sagte die Tante. Mit abgewandtem Kopf.
    »Hab’ ich gehört«, sagte Quoyle. »Hab’ gehört, daß Omaloor Bay nach den Quoyles benannt ist – wie Schwachkopf-Teich, Sechs-Finger-Hafen oder Aprikosenohr-Bucht nach anderen Unglücklichen. Billy hat mir erzählt, wie sie von der Guckinsel rüberkamen. Sollen das Haus übers Eis gezogen haben.«
    »So heißt es. Die Hälfte von den Geschichten sind erstunken und erlogen. Ich nehme an, die Quoyles waren so anständig wie alle anderen auch. Und ich bin mir sicher, daß ich nicht weiß, wer der Kerl sein könnte, von dem du sprichst.«
    Quoyle wusch sich die Farbe von den Händen, rief: »Wer will mit mir die Küste entlangspazieren und Gelbdolden pflücken?«
    Sunshine fand zwei wilde Erdbeeren. Bunny warf immer größere Steine in die Wellen; die Wasserspritzer kamen immer näher, bis einer sie erwischte.
    »Na schön, na schön, gehen wir zum Haus zurück. Bunny kann ihre Strumpfhose wechseln, und Sunshine kann die Gelbdolden waschen, und ich brate den Knoblauch und die Zwiebeln an.«
    Aber als die Soße fast fertig war, entdeckte er, daß keine Linguine da waren, nur eine Packung bogenförmige Eiernudeln, weiches Zeug, das unter der Soße verklumpte, daß die Tintenfischringe an den Tellerrand rutschten.
    »Du mußt vorausplanen, Neffe.«
     
    Wieder kurz vor Sonnenaufgang. Etwas weckte ihn. Grau und kalt ragte das kahle Zimmer über ihm auf. Er lauschte, ob Bunny rief oder weinte, hörte aber nur Stille.
    Ein Kreis huschte über die Decke, verschwand. Taschenlampenstrahl.
    Er stand auf, ging zu dem Fenster mit Meerblick, Fliegen-leiber knirschten unter seinen bloßen Füßen. Kniete sich an einer Seite hin und lugte in die heller werdende Nacht. Lange sah er nichts. Seine Pupillen vergrößerten sich im Dunkeln, er sah, wie der Himmel den Perlmuttglanz des nahenden Lichts annahm. Das Meer erstand als Silbernegativ. Weit unten im drahtigen Gestrüpp sah er einen rastlos zuckenden Funken, und bald war er aus seinem Gesichtsfeld verschwunden.
     
    »Wir sollten mal da runter«, sagte Quoyle. »Nach dem alten Mann sehen.«
    »Ich bin mir sicher, daß ich keinen alten Onkel vierten Grades aufstöbern will, der einen Groll auf uns hat. Bislang sind wir sehr gut zu Rande gekommen, und es wär’ besser, nicht an den Dingen zu rühren.«
    Quoyle wollte hin. »Wir könnten die Mädchen mitnehmen, die würden das Herz eines Ungeheuers besänftigen.«
    Oder eher verhärten,

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