Schiffsmeldungen
Ultramarinblauer Himmel. Das Meer glitzerte.
Wavey in hellbraunen Strümpfen, einem Rock mit ausgebesserten Nähten. Quoyle trug sein Karohemd ziemlich eng. »Früher kamen die Leute mit ihren Beereneimern und -kisten von meilenweit hierher«, sagte die Tante über die Schulter. »Damals, müßt ihr wissen, verkauften sie die Beeren.«
»Tun sie immer noch«, sagte Wavey. »Agnis, letzten Herbst zahlten sie neunzig Dollar für einen Vier-Kilo-Korb Schellbeeren. Mein Vater machte letztes Jahr mit seinen Beeren tausend Dollar. Die Leute in der Stadt wollen sie. Und manche machen immer noch Beerenpfui, wenn sie die Rebhuhnbeeren dafür kriegen.«
»Beerenpfui! Das war ein scheußliches Gesöff«, sagte die Tante. »Wir werden ja sehen, was wir finden.« Sah Wavey mit einem Seitenblick an, nahm die rauhen Hände und aufgesprungenen Schuhe wahr, Herrys Gesicht wie eine Untertasse entrahmte Milch. Aber ein hübscher Junge, hieß es, so schön wie der Vater, nur leicht verzerrt. Als wären formbare Züge mit starker Hand zusammengepreßt worden.
Das Meer glühte, durchsichtig vor Licht. Wavey und Quoyle pflückten nebeneinander. Waveys harte Finger arbeiteten sich durch die büscheligen Pflanzen, Zeigefinger und Daumen sammelten zwei, sieben Beeren, ließen sie in die gewölbte Handfläche rollen, in den Eimer fallen, ein schwaches Geräusch, wenn sie auftrafen. Ging auf den Knien. Ein bitterer Geruch nach Zerquetschtem. Quoyle blies Spreu weg. In dreißig Metern Entfernung Herry und Sunshine und Bunny, die wie Hunde über den flauschigen Boden kugelten. Die Tante streifte davon, ihr weißes Kopftuch schrumpfte zu einem Fleck. Beim Ausschwärmen verschwanden die Pflücker kurz in Senken oder hinter Buckeln. Das Meer zischte.
Die Tante rief Quoyle zu: »Juhuu. Hab’ den Essenskorb vergessen. Hinten bei der Handschuhfabrik. Hol du ihn, ich pass’ auf die Kinder auf.«
»Komm mit«, sagte Quoyle zu Wavey. Drängend. Sie schaute zu Herry hinüber.
»Sie spielen. Komm. Wir gehen am Ufer entlang. Auf den Steinen geht das schneller als durchs Gestrüpp. In zwanzig Minuten sind wir wieder da.«
»Na schön.«
Und schon war sie auf ihren starken Beinen fort, Quoyle stolperte hinterher, rannte, um sie einzuholen. Der Ozean zuckte wie ein riesengroßes, über Schlangen gebreitetes Tuch.
Quoyle schlenkerte den Korb, ging am Ufer entlang, vorbei an abgerissenem Blasentang, Knöterich, Seerinde und Händelwurz, grünen Flechten und Korallenwurz, Matten von Rotalgen und zerriebenen Klumpen stacheliger Moostierchen zu Tausenden, langen braunen Fäden Riementang – ein schwarz werdender Uferstreifen, bekränzt vom Sturm der letzten Woche.
Wavey kletterte und hüpfte über die Felsen, stapfte durch die Tanghaufen. Quoyle setzte die Füße langsamer voreinander, im Korb klirrten Bierflaschen.
»Schau«, sagte er. An der Öffnung der Bucht ein Eisberg mit Doppelspitze.
»Er kippt.«
Wavey stellte sich auf einen Felsen, krümmte die Finger und hob ihre Fäuste an die Augen, als wären sie ein Fernglas. Die Eismasse neigte sich, als wollte sie im Wasser ihr Spiegelbild bewundern, neigte sich, bis die südliche Spitze einen Winkel wie ein Stift beim Schreiben bildete, die nördliche Spitze sich wie ein Liebender über sie beugte. Geräuschlos kamen die voneinander entfernten Spitzen zusammen, tauchten unter Wasser. Eine Fontäne verdrängten Wassers.
Quoyle unterhalb des Felsens. Plötzlich schlang er seine Hände um ihre Knöchel. Sie spürte die Hitze seiner Hände durch ihre braunen Strümpfe, rührte sich nicht. Auf dem Felsen gefangen. Blickte hinab. Quoyles Gesicht war an ihre Beine gedrückt. Sie sah weiße Kopfhaut durch gewelltes rötliches Haar, Finger, die sich fest um ihre Knöchel wanden, ihre Schuhe bis auf die Spitzen verdeckten, das Leder, das mit kleinen Löchern in Form eines viktorianischen Schnurrbarts verziert war, seine dicken Handgelenke und daneben die Armbündchen des Pullovers, ein Stück kaputter Muschelschale, in der Wolke hängengeblieben, Hundehaare auf den Ärmeln. Sie rührte sich nicht. Es war, als wäre da ein Vorhang, eine Hand am Zug, die ihn aufreißen könnte. Quoyle atmete den Duft ihrer Baumwollstrümpfe ein, ein weiblicher Geruch nach Salz und Seegras, der ihn kühn machte. Seine Finger lösten sich, die Hände zogen sich zurück. Sie spürte ihr Fehlen. Quoyle blickte sie fest an. »Komm runter. Komm runter.« Er streckte die Arme aus. Kein Zweifel, was er meinte. Sie atmete kaum.
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