Schiffstagebuch
Hostal außerhalb der Stadt, Mücken, Hundegeheul in einem großen Kreis rund ums Haus. Schlaflose Nacht, der Wein hatte 16,2 %, San Pedro de Yacochuya. Nach draußen geflüchtet, fünf Musiker aus Humahuaca mit Panflöten und tierfellbespannten Trommeln, sie spielen mit heftigen Atemstößen, die Trommeln wie der Herzschlag eines großen Tiers, die Gesichter ernst, verschlossen. In Purmamarca übernachten wir im Manantial del Silencio, der Quelle der Stille. Spanisch hat nie Angst vor großen Worten. Und spanisch ist es, alt, feudal, Kolonialmöbel, eine Bibliothek, Stille, mitten in den immer wilder werdenden Landschaften eine Oase. Bei Salta waren es noch Pferde auf saftigen Wiesen, danach wurde es trockener, surrealer, eine phallische Vision von übermannshohen Kakteen, die sich wie einsame, stachlige Männer vom Horizont abheben.
Die Straße nach Bolivien führt an Salzgruben vorbei, die wie große Eisseen aussehen, das gleißende Weiß sticht in die Augen. Schneehaufen aus Salz entlang der schmalen Straße, doch weil ich einen Umweg gewählt habe, kann man kaum mehr von Straße sprechen, eher von einer Piste, auf der man manchmal aus dem Auto steigen muß, um einen Stein auf die Seite zu schleppen, bis ich wieder auf die Ruta 40 komme, die durch ganz Argentinien läuft, 4667 Kilometer lang, eine Herausforderung für den Reisenden.Ich habe sie bereits kennengelernt, in Patagonien. Die Ruta 40 ist für Argentinien, was die Route 66 für Amerika war, doch weite Teile bestehen nur noch aus Piste, manchmal mit furchterregenden Schlaglöchern, wenn es regnet, gibt es kein Durchkommen. Später werde ich auf die 9 gelangen, die breite Straße nach Bolivien, aber hier noch nicht. Ich weiß, daß ich an der Grenze umkehren werde. Vor vierzig Jahren war ich in Bolivien, es war die Zeit Che Guevaras, vielleicht ist das der Grund, weshalb ich weiterfahren möchte, als könne man demjenigen, der man damals gewesen ist, noch einmal begegnen. Die Menschen, die ich jetzt sehe, gleichen denen von damals, zäh, unendlich geduldig, die Gesichter unter den Hüten verschlossen. Ich fahre durch die Quebrada de Humahuaca, es ist die dramatischste Landschaft, die ich je gesehen habe. Quebrada bedeutet Schlucht, es ist ein ausgewaschener Trog, durch die der Río Grande strömt. Das Gebirge ist vielfarbig, schroff, und natürlich trägt ein Gipfel oder eine Formation das Wort Teufel oder das Wort Farbe im Namen. Puente del Diablo, Teufelsbrücke, Paleta del pintor, Malerpalette. Und so sieht es tatsächlich aus, eine gigantische Steinpalette, rot, ockerfarben, bleigrau, weiß, bedrohlich. Der große Maler braucht nur ein einziges Mal vom Himmel herabzusteigen, um dem Rest der Welt neue Farbe zu verleihen. Einmal begegne ich auf einer Nebenstraße einer Prozession, einer Gruppe stiller Menschen mit einer Heiligenfigur auf einem Pferd und ein paar Fahnen, und wie sie in dieser leeren Landschaft vor einer Kulisse aus Wolken und Tafelbergen dahinziehen, muß ich an Slauerhoffs letztes Buch denken, Christus in Guadalajara , Indianer, die einem falschen Heiland in einen von vornherein zum Scheitern verdammten Aufstand folgen. Quechuaspricht man hier, mit Buenos Aires oder Patagonien hat dies nichts mehr zu tun, von den Gletschern in Feuerland bis hier erstreckt sich eine Unendlichkeit, in der die Städte nur Intermezzos sind. Ich halte irgendwo an, um zu essen, picante de llama , llama en pimiento negro , picante de mondongo , Eingeweide oder Lama, aber auf jeden Fall scharf. Disculpe que no tenemos agua por corte general de Aguas de los Andes S. A. Entschuldigen Sie bitte, daß wir kein Wasser haben, wir sind von der Wasserversorgung aus den Anden abgeschnitten. Kein Wasser, dann eben Wein. Parral de los Monjes , Weinberg der Mönche, und Wein von den Augustinerpatern des Klosters María de la Vid , Maria vom Weinstock – man muß Katholik sein, um zu wissen, daß mit diesem Weinstock Christus gemeint ist. In der kleinen Dorfkirche sehe ich im Beichtstuhl auf dem Platz, auf dem der Priester normalerweise sitzt, einen großen Kartoffelsack, papas de consumo , alle Sünden des Dorfes in diesem einen Möbel, und die Kartoffeln, die die Geheimnisse jedes Bewohners kennen.
Die Straße steigt langsam, aber unaufhaltsam an. In Jujuy waren wir 1200 Meter hoch, in Humahuaca sind es schon fast 3000, die Luft ist dünn wie in Bolivien. Bei Tres Cruces, wo der Río Grande entspringt, befindet man sich oberhalb von 4000, links und rechts der
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