Schiffstagebuch
neunzehnten Jahrhunderts herausgerissen, ohne die dazugehörige Umgebung, unwiderruflich entschwundene Zeit, vergangene Pracht, ein Hotel als Parodie seiner selbst. Aber übernachten kann man darin. Dann wird man zur Parodie eines Gastes: ein Handelsreisender auf dem Weg zur Matjiesfontein Sausage Factory in der Logan Straat, ein bezahlter Statist in der Geschichte eines anderen. Ein verrückter Schotte hat das Hotel an diesem Ortder trockenen Luft wegen erbaut, die für Lungenkranke wie ihn gut sein soll. Es lief sehr erfolgreich. In den Hotelregistern die Namen vornehmer Gäste, Cecil Rhodes, der Sultan von Sansibar. Alles ist zweifellos wahr. Lord Milner steht in großen weißen Buchstaben auf dem Dach zwischen den drei quadratischen zinnenbewehrten Türmen, über denen Fahnen flattern. Auf der gesamten Breite des Gebäudes eine Terrasse mit zwei hundertjährigen Zypressen, darüber eine lange Galerie mit gußeiserner Balustrade.
Ich gehe hinein ins neunzehnte Jahrhundert. Meinen anachronistischen Wagen habe ich neben einem riesigen Feuerwehrauto aus vergangenen Tagen geparkt. Um zum Eingang zu gelangen, muß ich an einem hohen, vierstöckigen Springbrunnen vorbei. Wasser sprudelt nicht. In der Lobby zwei schwarzgekleidete Frauen mit weißer Schürze und weißem Spitzentuch, das zu einem merkwürdigen Türmchen auf ihrem Kopf gefaltet ist. Gleich beginnen die Dreharbeiten, ich muß nur noch schnell meinen Text lernen, ich bin der Sekretär des Enkels des Sultans von Sansibar. Sonst ist niemand zu sehen, aber jeder weiß, wer ich bin. Die Bar ist aus wunderbarem Tropenholz, in die Glasscheiben der Tür ist mit Zierbuchstaben BAR eingraviert, an der Wand hängen ein Geweih und das vergilbte Foto einer Kricketmannschaft, ansonsten gibt es ein Klavier und einen grün angelaufenen Trichter von His Master‘s Voice. Die Vorhölle ist von der katholischen Kirche abgeschafft worden, dabei wäre dies der perfekte Ort dafür gewesen, eine Ewigkeit lang zu warten, bevor man in die richtige Ewigkeit eingehen darf. Der Vorrat an Alkoholischem ist begrenzt, enthält aber das Wesentliche.
Später am Abend wird ein dicker Schwarzer mit rosa Schuhen für mich allein spielen und singen. Dann bin ich schon zweimal durch das ganze Dorf
spaziert, ohne jemanden zu sehen, und brauche nur noch auf die Ankunft des Zugs zu warten. Ich glaube nicht daran, doch er kommt wirklich, schon lange
vorher höre ich sein klägliches Rufen über die Ebene. Am Bahnhof ein kleines Museum. Ein Foto von einigen railway contractors and friends aus dem
Jahr 1879, wir sehen uns über das lange Jahrhundert hinweg an, das zwischen uns liegt, einige der Männer haben einen Namen, die anderen haben selbst den
verloren, doch da sie meinen genausowenig kennen, sind wir quitt. Meinem Notizbuch entnehme ich, daß ich wie gewöhnlich versucht habe, das gesamte Museum
schriftlich zu fixieren, Marken und Meßbecher, einen ausgestopften Fisch, die Kursbücher der Rhodesian Railway, Friseurstühle und künstliche Gebisse,
Abfahrts- und Ankunftszeiten,Kricketbälle und die Ballade aus dem Burenkrieg, die auch im Hotel hängt:
The black Watch at Matjiesfontein
By one who was there
Tell you a tale of the battle?
Well, there is not much to tell,
Nine hundred went to the slaughter
And nigh on four hundred fell
Wire and the Mauser rifle
Thirst and the burning sun
Knocked us down by the hundred,
Ere the long day was done.
Matjiesfontein
Vergessener Krieg, vergessene Männer, fünfundzwanzig Strophen. Inzwischen ist der glänzende Zug eingefahren, das Ereignis des Tages. Die Reisenden speisen im großen Hotel, bevor sie nach Kapstadt weiterfahren. Ich starre auf die geheimnisvolle Maschine, mit der jemand von Hand die Weichen umstellt, Holzgriffe an schweren Metallringen mit Ketten. Auf dem Plan an der Mauer lese ich die Angaben hooflyn , uitwykspoor no. 1 , uitwykspoor no. 2 , sylyn , Hauptstrecke, Ausweichgleis Nr. 1, Ausweichgleis Nr. 2, Nebenstrecke. Im Zug selbst der Luxus früherer Zeiten, Sessel, Schirmlampen, Teppiche, geblümte Sofas mit schweren Kissen, Kupferbeschläge und Ventilatoren, ein Bediensteter in Weiß, der wartet, bis die Fahrgäste über den schmalen Bahnsteig zurückkehren.
Als der Zug abgefahren ist, senkt sich erneut Stille über Matjiesfontein, der dicke Mann in der Bar singt What awonderful world mit der Stimme von Louis Armstrong, und ich werde von mir selbst in dem monumentalen Bett aufgebahrt, das mitten im
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