Schiffstagebuch
Wirken, mein
Jahrhundert schreibt sich nicht mit einer Zwei vor dem Tausender, und auch das Jahrhundert davor verflüchtigt sich bei all dem Weiß: weiße Bänke, weiße
Wände, weiße Türen, weiße Säulen, an den Wänden heilige Texte in einer altertümlichen, biblischen Version meiner Sprache, hier ist alles dem Herrn
geweiht, es gibt keine Kanzel, vor einer der Kirchenwände steht ein Tisch mit einer buntkarierten Decke, und darauf liegt Das Buch, mächtig, schwarz,
Goldschnitt, Das Wort, das hier an Sonntagen den Raum erfüllt. Für den Prediger gibt es einen einfachen Holzstuhl ohne Armlehnen, mit geflochtenem Sitz,
hier herrschen andere Zeiten, alles hat die atemberaubende Schlichtheit eines altertümlichen deutschen oder niederländischen Protestantismus, es muß auf die damaligen Einwohner des Landes einen umwerfenden Eindruck gemacht haben, und so hat es sich erhalten, wie in Reinkultur. Durch die hohen, hellen Fenster sehe ich den afrikanischen Sommerhimmel, Palmen, die die Herrnhuter Augen nie zuvor erblickt hatten. Auch draußen ist es still, ein paar Kinder spielen auf der großen, freien Fläche bei der Skoolstraat, ich gehe durch das rührende kleine Museum, Fotos der Schule von Lehrer Martin Hans mit seiner Klasse 1963, arme Kap-Bauernsöhne in Schwarz, ein von vielen Eseln gezogener Wagen, der Debütantinnenball Laetitia Africa, ein verrostetes Bügeleisen, eine Nähmaschine, die zu ihrem eigenen Monument geworden ist – über allem liegt ein Schleier vergangener Zeit. Als ich noch einmal in die Kirche gehe, sehe ich die Liste Elimer Soldaten, die von 1939 bis 1945 »in der Union, inAbessinien, Zentral- und Nordafrika, Palästina und Italien« gedient haben. »Alle Männer kamen unversehrt nach Hause.« Und heute? Ein Strukturplan, ein demokratisch gewählter Opsienersraad (Aufsichtsrat), Fortschritt, Zentimeter um Zentimeter. Die Wasserversorgung soll verbessert werden, es gibt ein Heim für fünfundfünfzig geistig und körperlich behinderte Kinder, das Wildblumenprojekt der South African Dried Fruit Cooperative ist ein Erfolg, 2010 wird der Opsienersraad es an die Gemeinschaft übergeben, und der Tourismus soll gefördert werden. Der einzige Tourist dieses Tages sitzt in der weißen Kirche. An der Wand hängt die Losung vom 1. August 1924: »Glaubet an das Licht, solange ihr‘s habt.«
Elim
VII. Sevilla Trail. Wir sind im Cederberg Naturreservat. Die Straße ist nicht länger asphaltiert und führt nach Wuppertal, wenn auch nicht dem in Deutschland. Wir sind über den Pakhuis-Paß gekommen, durch eine Landschaft von brutaler Schönheit. Der Schöpfer hatte einen manieristischen Tag oder vielleicht schlichtweg keine Lust auf ein klassisches Meisterwerk. Er hat einfach das Material genommen, das hier herumlag, hat nach seiner grimmigen Vorstellung alles hingeworfen, danach wieder übereinandergetürmt und ist dann gegangen, alles so belassend, wie es war, groteske Stapel, bizarre Formen, die bei bestimmtem Licht gespenstisch aussehen, eine Landschaft für schlechte Dichter. Vielleicht hatte er auch einfach nur getrunken, der Fluß, der hier vorbeifließt, heißt Brandewyn. Wir sind unterwegs zum Sevilla Trail, einem Pfad mit über zweitausend Jahre alten Felsmalereien, der an einem Farmhaus namens Traveller‘s Rest anfängt. Ein alter Farmer sitzt unter einem Grüppchen Eukalyptusbäume, diehier gumtrees heißen und deren Rinde in Streifen herabhängt, er macht irgend etwas Paradiesisches aus Früchten und Blättern. Koos und Haffie Strauss bauen hier Pflanzen an, die sie zu Ölen verarbeiten, sie züchten, wie eine Website informiert, die ich später zu Gesicht bekomme, Geranien, Sutherlandia (Krebsbusch), Grenadillas, Mais und Rooibostee. Sie vermieten auch ein paar Steinhäuschen mitten im wilden Land, ihre mächtige Farm ist der letzte Außenposten an der langen Straße, die in der Ferne verschwindet. Wenn man ein paar Tage vorher anruft, kann man auch etwas zu essen bekommen; wir haben das nicht getan, sondern alles Benötigte in Clanwilliam eingekauft, und können es jetzt vor dem Häuschen über einem offenen Feuer zubereiten.
Die Hitze ist brutal, es sind über vierzig Grad. Koos hält es für keine gute Idee, zu dieser Tageszeit den Trail entlangzuwandern, doch ich habe keine
andere Wahl. Er sagt mir, worauf ich achten muß, bei einem sehr großen Felsen soll ich mich einfach unter den Überhang legen, ich soll Ausschau halten
nach tanzenden Frauen, nach dem
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