Schilf im Sommerwind
direkt aus den südafrikanischen Minen, untergegangen auf dem Weg nach Indien. Klunker von fürstlichen Ausmaßen, goldrichtig für einen Sultan.«
»Du bist goldrichtig«, sagte Sam. »Und danke für deinen Rat.«
»Um ein letztes Mal auf meine Frage zurückzukommen. Die Tante – wie heißt sie gleich wieder?«
»Das geht dich einen feuchten Kehricht an«, sagte Sam und legte auf.
Eine Woche verging, in der irgendetwas zu passieren schien. Quinn hatte keine Ahnung, was. Sam rief dauernd an. Er wollte Tante Dana sprechen, und sie unterhielt sich lange mit ihm, in gedämpftem Ton. Oder er hinterließ rätselhafte Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, wie: »Ich habe unseren Freund in Ohio angerufen, er meldet sich heute Nachmittag bei mir. Bisher sind keine roten Flaggen in Sicht, also bleibe ich am Ball.«
Quinn platzte schier vor Neugierde. Noch seltsamer war, dass sich Tante Dana im Schuppen ein Atelier eingerichtet hatte – im schmutzigsten, dunkelsten Raum des ganzen Anwesens. Überall hingen Spinnweben, und kein einziger Lichtstrahl gelangte ins Innere, wenn die Tür nicht offen war.
Als Quinn den Hügel hinunterlief, um ihrer Tante die neueste Nachricht von Sam zu überbringen, stand diese vor einer leeren Leinwand.
»Was hat eine rote Flagge zu bedeuten?«, fragte Quinn.
»Sturmwarnung, sofern wir vom Segeln reden. Warum?«
»Sam hat gesagt, bisher wären keine roten Flaggen in Sicht. Was ist damit gemeint?«
»Wahrscheinlich, dass alles klappt. Wie beim Segeln.« Ihre Tante betrachtete die Leinwand so angestrengt, als warte sie auf eine wundersame Erscheinung.
»Was treibt er eigentlich? Warum lässt er sich in letzter Zeit so selten blicken?«
»Ich schätze, er hat viel zu tun, Liebes.« Ihre Tante starrte immer noch auf denselben Fleck.
Quinn seufzte. Sie hatte gedacht, es sei gut, wenn ihre Tante wieder zu malen begann, eine zusätzliche Sicherheit, dass sie nicht nach Frankreich umsiedeln mussten. Aber das war keine gute Idee gewesen. Sie hatte sich schon seit Tagen im Schuppen vergraben, hatte ihre Staffelei aufgebaut, ihre Farben und Pinsel fein säuberlich auf einem Tisch aufgereiht, eine neue Dose Terpentin aufgemacht und sich beim Mischen der Farben bekleckst. Obwohl sie noch keinen einzigen Pinselstrich gemacht hatte, stand sie da, als warte sie auf eine göttliche Eingebung, die einschlug wie der Blitz aus heiterem Himmel.
Quinns Mutter hatte ausschließlich auf dem Esszimmertisch gemalt und dabei nie die Welt ringsum vergessen: Sie konnte jederzeit problemlos anfangen und aufhören, und wenn Quinn mit ihr reden wollte, hatte sie den Pinsel weggelegt und war ganz Ohr gewesen.
»Wann kommt er wieder?«, fragte Quinn. »Er hat schließlich einen Auftrag übernommen …«
»Den wird er gewiss erledigen.« Tante Dana trat näher an die Leinwand heran. Sie berührte sie mit dem Finger, zeichnete eine sanft geschwungene Linie, trat einen Schritt zurück. Obwohl es Quinn nicht gefiel, ignoriert zu werden, empfand sie bei der Beobachtung, wie sich ihre Tante auf die Arbeit vorbereitete, eine Art Frieden. Sie umrundete die Staffelei, um einen Blick darauf zu werfen.
Sie war leer. Der Pinsel war trocken. Wie ein Pilot in voller Montur, der auf die Starterlaubnis seines Flugzeugs wartet, oder ein Schriftsteller, der mit gezücktem Stift auf Ideen wartet. Für Quinn war es bedrückend, die leere Leinwand zu sehen, und sie legte tröstend die Arme um ihre Tante.
»Danke, Liebes«, sagte Tante Dana.
»Was ist los?«
»Nichts.«
»Es liegt am Schuppen, oder? Ich wünschte, du hättest mehr Licht. Ist dein Atelier in Frankreich auch so dunkel?«
»Nein. In Honfleur gibt es ein großes Fenster nach Norden hinaus; dadurch bekomme ich genau das Licht, das ich für meine Arbeit brauche.«
Quinn stemmte die Hände in die Hüften und durchmaß mit weit ausholenden Schritten den Schuppen. Sie hatte im Lauf der Jahre oft gesehen, wie ihr Vater auf diese Weise über ein Baugrundstück marschierte. »Du solltest hier auch so ein Fenster haben. Wir könnten es doch aussägen, genau da – da ist doch Norden, oder?«
»Ja. Woher weißt du das, Aquinnah Jane Schlauberger?«
»Ich besitze ein erstklassiges Orientierungsvermögen«, sagte Quinn stolz. »Heißt es. Mom hat das immer gesagt, weil ich doch auf der hohen Ebene geboren bin und alles im Blick habe, was sich rundum befindet.«
»Eine Eigenschaft, um die dich sicher viele beneiden.«
»Ich musste ihr versprechen, die Natur ringsum
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