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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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könnte.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich um Schmiergeld handelt – es muss für etwas anderes bestimmt gewesen sein«, sagte sie diplomatisch, um ihm nicht zu widersprechen, nachdem er sich so viel Mühe gemacht hatte.
    »Ich hoffe, du hast Recht. Ich hoffe es sehr.«
    »Was könnte es denn sonst sein?«
    »Hm, was ist eigentlich mit dem Schlüssel? Hast du schon herausgefunden, wozu er passt?«
    Dana schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich hatte auch noch nicht die Zeit, gründlich nachzuschauen. Ich habe Fred Connelly angerufen, den Versicherungsvertreter. Er hat mir die Koordinaten für die alte Position des Wracks durchgegeben, aber er meinte, es sei während des Sturmes im letzten Jahr so stark abgedriftet, dass man es bisher nicht mehr orten konnte.« Sie reichte Sam den Abschlussbericht der Versicherung mit dem Vermerk ›Tod durch Unfall‹, und darunter ›Schiffsuntergang‹.
    »Wir werden sie finden.« Sam ergriff ihre Hand, als er den Bericht entgegennahm. »Das ist die eine Sache, die ich dir erzählen wollte – das Forschungsschiff steht ab Montag zur Verfügung. Bist du einverstanden, dass ich Quinn Bescheid sage?«
    »Ja, mach das.« Dana starrte auf ihre miteinander verschränkten Hände, in denen sie das Dokument mit seinem grauenvollen Inhalt hielten.
    »Aber nur, solange wir an einem Strang ziehen. Sie erfährt kein Sterbenswort von mir, falls du es dir in der Zwischenzeit anders überlegt hast.« Sacht zog er seine Hand weg.
    »Habe ich nicht«, flüsterte sie. »Ich kann nur noch daran denken, statt zu malen.«
    »Ich weiß.«
    »Woher?« Sie sah seine Hand an. Wie kam es, dass sie plötzlich den brennenden Wunsch verspürte, Sam Trevors Hand zu halten, und an ihn dachte, wenn sie nachts nicht schlafen konnte?
    »Ich habe durch das Garagenfenster gespäht und gesehen, dass du die Leinwand aufgezogen hast. Prima, Dana.«
    »Sie ist leer. Das hast du sicher auch gesehen.«
    »Du wirst bald wieder malen. Ich bin mir ganz sicher.«
    »Ich versuche es.« Der alte Kummer schnürte ihr die Kehle zusammen.
    Sie standen nebeneinander, fast berührten sie sich. Am anderen Ende der kleinen Bucht tanzte Quinns Licht über die Wellen. Dana dachte an den letzten Abend, als Sam hier gewesen war und sie ihm von den Farben erzählt hatte, die sie benutzen würde, um das Meer zu malen: Dunkelblau, tiefblauer Purpur und Gold. Die Farben, die heute Abend vorherrschten.
    »Während meines Graduiertenstudiums in Woods Hole schenkte Joe mir ein kleines Segelboot. Er wusste, dass es für mich ein Unding gewesen wäre, am Wasser zu sein, ohne segeln zu gehen – dank deiner Bemühungen.«
    Dana brachte kein Wort über die Lippen. Sams Stimme war sanft und leise, und sie blickte in seine goldgrünen Augen.
    »Ich trieb mich meistens auf dem Kai herum. Dort freundete ich mich mit einem alten Mann an, der früher zur See gefahren war, und er stellte mir eine Frage: Was macht ein alter Seebär, wenn er das Meer satt hat?«
    Dana hob den Blick. Die Frage ließ sie frösteln, und als hätte Sam ihre Gedanken gelesen, rückte er näher. Sie erschauerte, als sie an den alten Seemann, an ihre eigene Situation dachte.
    »Er war blind geworden für den Zauber des Lebens«, fuhr Sam ruhig fort. »Er war der Wellen unter seinen Füßen überdrüssig, hatte die Lust verloren, aufs Meer hinauszufahren, um jedes Mal in einem anderen Hafen anzulegen. Das war sein Leben, aber er konnte es nicht mehr so weiterführen wie bisher.«
    »Und, was machte er?«
    »Er wurde ein alter Trunkenbold, der seinen Lebensabend auf dem Kai verbrachte.«
    »Das ist traurig.« Danas Augen füllten sich mit Tränen. Falls Sam es sah, enthielt er sich jeder Bemerkung. Er stand reglos da und wartete darauf, dass sie fortfuhr. »Ich trinke nicht«, sagte sie. »Und ich pflege nicht auf dem Kai zu sitzen. Aber ich kann nachempfinden, wie es ihm ging – in Bezug auf den Zauber des Lebens.«
    »Ich weiß«, flüsterte Sam und nahm ihre Hand, so dass sie das Gefühl hatte zu schmelzen.
    »Die Leinwand ist präpariert. Die Farben stehen griffbereit, sie sind gemischt und alles. Ich starrte sie an, möchte malen, aber ich kann nicht …«
    »Dana …«
    »Ich kann nicht. Ich bin am Ende!« Sie starrte aus dem Fenster auf das dunkle Wasser des Hunting Ground.
    Sam trat näher. Dana schlug die Hände vor die Augen. Sie dachte an Marks Boot in der Tiefe des Sunds, mit einem Leck im Rumpf oder offenen Seeventilen; genauso fühlte sie sich. Sie

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