Schilf im Sommerwind
Winter! Beide Mädchen haben eine schlimme Grippe. Allie ist ein Schatz. Wenn sie ihre Wachsmalkreiden und Papier hat, ist sie zufrieden. Quinn ist dagegen die reinste Landplage! Sie macht mich noch wahnsinnig, möchte unbedingt nach draußen und spielen. Obwohl sie kaum atmen kann und Fieber hat, dass es kracht!
Sie redet nur noch davon, ihre Tante in den Frühjahrsferien zu besuchen. Gute Idee, meine liebe Landplage! Ich könnte eine Dosis Dana gut gebrauchen. Frankreich wäre auch eine nette Abwechslung. Obwohl mich der Neid auf ihr Leben packen könnte – Malen nach Lust und Laune, ein idyllisches Atelier, ein hinreißender junger Liebhaber – und der Wunsch, mit ihr zu tauschen.
Im Moment würde ich Dana liebend gerne die Mutterrolle und Mark überlassen, wenn ich dafür die Malerei und Frankreich bekäme. Ich bin nämlich wütend auf Mark, für den Fall, dass du es noch nicht bemerkt haben solltest, liebes Tagebuch. Er ist wieder in Ohio. Probleme mit dem Yogaraum. Der Fußbodenbelag war nicht weich genug, oder so. Er macht sich Sorgen um die Knie der alten Leute.
Und was ist mit meinen Knien?, habe ich ihn am Telefon gefragt. Sie waren in letzter Zeit viel zu selten um deine Hüften geschlungen. Morgen bin ich wieder da, dann holen wir das Versäumte schleunigst nach, meinte er. Trotzdem, wenn er sich nicht vorsieht, dampfe ich nach Frankreich ab und tausche den Platz mit meiner Schwester. Und ich werde meine Knie um den nächstbesten jungen Mann schlingen und mich verzaubern lassen, bevor er auch nur Abrakadabra sagen kann.
Dana lächelte und überflog die nächsten Seiten. Februar und März sah sie nur flüchtig durch, im April hielt sie inne.
Die ersten Triebe im Garten. Pinkfarbene Äste an den Bäumen. Allie hat Ballettunterricht und Fußballtraining in der Schule, Quinn treibt alle zur Raserei, wie gehabt. Ihre große Leidenschaft ist herumstreunen, auf Bäume klettern und an Schlüssellöchern lauschen. Ihre schulischen Leistungen lassen zu wünschen übrig. Mark ist nie hier, um bei den Hausaufgaben zu helfen – das Projekt in Cincinnati ist abgeschlossen, aber er hat bereits eine neue Baustelle in Massachusetts. Ich muss los, Allie vom Ballett abholen –
Gestern kam das neue Boot. Ich gebe zu, es ist eine Wucht! Die Mädchen sind auch hin und weg. Unseren ersten großen Törn wollen wir nach Martha’s Vineyard machen, aber zuerst probieren wir das Schiff nur im Sund aus. Wir haben es Sundance genannt, zu Ehren des Projekts, das uns den Kauf ermöglicht hat: das Sun Center in Cincinnati. Ein Bilderbuch-Objekt, und Mark ist ungemein stolz darauf. So etwas müssten wir hier in Connecticut haben! Es wäre perfekt für Mom und Maggie, sogar für die alte Annabelle, die ja an allem etwas auszusetzen hat. Die Anlage in Hawthorne ist nicht halb so schön geworden. Hoffen wir, dass die neue in Massachusetts unseren Erwartungen entspricht. Seltsamerweise reagiert er verschlossen wie eine Auster, wenn die Sprache darauf kommt! Massachusetts ist groß: Wo befindet sich die Baustelle, in Boston oder Springfield, wollte ich von ihm wissen. Weder noch, sagte er. Auch gut … wie viele Fragen habe ich noch? Dann gab er sich einen Ruck und lächelte. ›Im Südosten von Massachusetts.‹ Also auf heimischem Boden, sagte ich. Cape Cod und die Inseln? In der Nähe, meinte er. Na schön, mein Schatz, ich hab keine Lust auf kindische Heiß-Kalt-Ratespiele, lassen wir es dabei bewenden. Er hat mehrere hochbetagte Tanten, die in Hyannis, Chatham und Edgartown leben. Vielleicht geht ihm das Projekt deshalb an die Nieren. Anlagen für Senioren in Ohio zu bauen ist eine Sache; sie für die eigene Verwandtschaft zu errichten, das ist möglicherweise etwas anderes. Ich bin nur froh, dass Mark mit diesem Projekt befasst ist – ihm liegt es wirklich am Herzen.
Das Boot ist fantastisch. Und hochseetüchtig! Gestern Abend lagen wir an Deck und malten uns aus, wie es wäre, wenn wir die Mädchen nächstes Jahr aus der Schule nähmen und über den Atlantik segelten, nach Frankreich. Überraschung, Dana! Wir werden wieder unter einem Dach leben, wie auch immer!
Leider wird sich dieser Traum aber wohl nicht erfüllen lassen. Marks Firma kann sich vor Aufträgen kaum retten. Seit dem Sun Center interessieren sich viele Gemeinden für seine Arbeit. Er war immer gut, doch mit diesem Aushängeschild hat er in noch stärkerem Maß auf sich aufmerksam gemacht.
Er meint, dass wir nach diesem Jahr ausgesorgt haben.
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