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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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geschlungen, das Gesicht verrunzelt wie das einer alten Hexe, hatte Miss Alice die Meerjungfrau-Kugel liebevoll betrachtet, und Dana und Lily hatten gewusst, dass sich hinter ihrem Äußeren eher eine gute Fee verbarg.
Es gibt wirklich Meerjungfrauen. Sie leben hier bei uns in Neuengland. Sie weben Netze aus Mondlicht und holen die Sterne vom Himmel. Wenn ihr Hilfe braucht, müsst ihr darum bitten. Der Spruch lautet: Kleine Meerjungfrau sag mir nun …?
    »Was soll ein Mädchen wie ich nur tun?«, fragte Dana laut, womit sie sich die beste Hilfe zu sichern trachtete. Sie schüttelte die Kugel, und die Fische wirbelten umher. Sie sah noch einmal die Bilder in Lilys Medaillon an, das Tagebuch in ihrer Hand.
    Dana dachte an die Zeit zurück: Wo hatte Lily ihre Tagebücher damals mit Vorliebe versteckt?
    Unter ihrer Matratze, hinter den Büchern im Bücherregal, über dem Fenster, in der Dachstube: Dana hatte ihre Verstecke aufgestöbert, eines nach dem anderen, und Lily hatte es gewusst. Mit einer Ausnahme: das letzte Versteck, das sie vor dem Eintritt in die Kunstakademie benutzt hatte. Dana hatte nie ein Wort darüber verlauten lassen, dass sie es ebenfalls gefunden hatte.
    Seit sie den goldenen Schlüssel gefunden hatte – den falschen, wie sich herausstellte –, hatte sie sich den Kopf zerbrochen, wo ihre Schwester ihr Tagebuch versteckt hatte. Aber warum sollte Lily ein neues Versteck suchen, wenn das alte perfekt war? Wieso bin ich nicht schon vorher darauf gekommen, fragte sich Dana.
    Weil ich die kleine Meerjungfrau nicht gefragt habe, dachte sie, während sie die Treppe hinunterlief, zur Küchentür hinaus in den Regen, den zweiten Schlüssel in der Hand.
     
    Das Patrouillenboot der Küstenwache bahnte sich seinen Weg nach Norden und Süden, kreuz und quer durch den Sund, während Sam mit dem Feldstecher an Deck stand. Er scheuchte die Mannschaft durch den Hunting Ground, von der roten Glocken- bis zur grünen Tonnenboje, in die Schifffahrtsstraße hinein, bis Orient Point.
    »Keine Spur von den beiden?«, erkundigte sich Hanley.
    »Nichts.«
    Der Platzregen hatte nicht nachgelassen, und der Wind war sogar noch stärker geworden. Sam lehnte sich Halt suchend an die Reling. Der Gedanke an die beiden Mädchen in dem kleinen Boot war beängstigend, und er nahm den Feldstecher nicht von den Augen.
    »Nicht ein einziges Privatboot hier draußen«, sagte Tom Hanley. »Endlich haben die Leute einmal den Himmel beobachtet. Die meisten jedenfalls. Tut mir Leid, Sam.«
    »Schon in Ordnung.«
    Sam hätte schwören mögen, dass Quinn hierher kommen würde. Wohin sollte sie sonst wollen? Sie war eine Underhill, wenn auch als Seglerin ein unbeschriebenes Blatt. Sam zweifelte nicht daran, dass es ihre Mutter und ihre Tante ebenfalls in den Fingern gejuckt hätte, den Elementen zu trotzen, es mit der ultimativen Herausforderung von Wind und Wellen aufzunehmen. Wie damals in Newport, als Dana ihren Segelschülern ungeachtet der Warnungen für die Kleinschifffahrt grünes Licht für die Abschluss-Regatta gegeben hatte.
    Der Kapitän verlangsamte die Fahrt, und Sam hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl im Magen – eine Minute lang befürchtete er, man habe Trümmer gesichtet. Auch wenn sie das Boot selbst nicht fanden, tauchten bisweilen Wrackteile auf. Oder die Mädchen selbst, die Schiffbruch erlitten hatten und sich mit letzter Kraft an den Mast klammerten.
    »Was macht er da?« Sam drehte sich um und blickte zur Brücke empor.
    »Zurückfahren«, erwiderte Hanley.
    »Aber sie müssen hier irgendwo sein!«
    »Dann hätten wir sie gesehen. Vielleicht haben sie Schutz in irgendeiner Bucht oder am Strand gesucht. Wir fahren jetzt die Küste ab, halten dort nach ihnen Ausschau.«
    Sam hob den Feldstecher erneut an die Augen. Er richtete ihn auf die Küstenlinie von Connecticut, spähte nach Anzeichen der
Mermaid,
nach Danas Nichten, die winkend Hilfe herbeiriefen. Sie hatten nach Lilys Tod genug durchgemacht, und er würde nicht ohne sie zurückkehren.
     
    »Was ist jetzt, Allie?«, sagte Quinn, als sie in voller Fahrt an der Nordküste von Fishers Island vorüberpreschten.
    »Was soll sein?«
    »Das ist unsere letzte Chance, das Ganze abzublasen.«
    »Und wenn nicht, was passiert dann?«
    »Dann fahren wir auf das offene Meer.«
    »Ist es dort schlimm? Schlimmer als hier?«
    Woher sollte sie das wissen? Quinn umklammerte mit weißen Knöcheln die Ruderpinne, als die ersten Wellen über den Bug schwappten. Das Boot war

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