Schilf im Sommerwind
Kimba, oder was von Allies heiß geliebtem Kuscheltier, dem Löwenbaby, übrig war. Quinn lag auf der Seite, das Gesicht in den Spielsachen vergraben, während ihr der Geruch der Kindheit in die Nase stieg.
Als Tante Dana nach oben kam, um sich dem Suchtrupp anzuschließen, roch Quinn Kräuter und Salz, Herbstblätter und Apfelmost, Aquarellfarben und Holzboote, ihre Mutter und ihren Vater. Tante Danas Stimme klang besorgt: der Wagen war noch nicht da.
»Hast du schon in der Taxizentrale angerufen?«, fragte Grandma.
»Das mache ich jetzt.«
»Ich kann nicht ohne Kimba weg«, jammerte Allie.
Genau das war der springende Punkt, wie Quinn wusste. Allie war eine treue Seele, wenn schon nichts anderes. Es gab Dinge, die ihnen beiden mehr bedeuteten als alles andere auf der Welt, Dinge, die sie heiß und innig liebten und einfach nicht zurücklassen konnten. Für Allie war das Kimba, bei Quinn war die Sache komplizierter. Sie würde auch nicht gerne auf Ariel verzichten, aber wenn es sein musste, würde sie es überleben. Bei anderen Dingen war sie sich nicht so sicher.
Quinn hatte Kimba in Gewahrsam genommen und würde ihn nicht herausrücken, zum Wohl aller. Tante Dana konnte nicht so herzlos sein, Allie zu zwingen, ohne ihr Kuscheltier abzureisen. Quinn setzte alles auf eine Karte, setzte auf das Mitgefühl ihrer Tante, aber sollte ihr Plan scheitern, hatte sie noch einen weiteren Trumpf im Ärmel: das ohrenbetäubende Geschrei ihrer Schwester. Kein normaler Mensch würde mit einem Mädchen die weite Strecke nach Frankreich fliegen, dessen Kreischen durch Mark und Bein ging.
Genau in dem Moment flog die Tür auf, und Allie stürmte herein. Wie ein Bluthund, der die Fährte aufgenommen hat, stürzte sie sich auf Quinn. Sie entriss ihr Kimba und hielt ihn triumphierend hoch.
»Ich wusste es! Ich wusste, dass du es warst!«
»Quinn, wie konntest du! Ich bin enttäuscht von dir«, entrüstete sich Grandma, auf der Türschwelle stehend.
»Du blöde Kuh musst alles vermasseln!«, zischte Quinn Allie zu. »Und dabei lief es wie am Schnürchen. Jetzt müssen wir weg von hier!«
»Was?« Allie drückte Kimba entzückt an sich.
»Wir haben ein Problem«, sagte Tante Dana und gesellte sich stirnrunzelnd zu Grandma auf die Türschwelle. »Die Taxizentrale hat Mist gebaut. Mein Auftrag liegt vor, die Bestellung ist vermerkt und bei meinem Anruf gestern Abend auch bestätigt worden, aber der Fahrdienstleiter hat irgendwie vergessen, den Wagen heute Morgen loszuschicken.«
»Klasse!«, rief Quinn und spannte die Armmuskeln an.
»Mom, könntest du uns fahren?«, fragte Tante Dana.
»Liebes, die Flughäfen in New York machen mir Angst. Dieser Verkehr!«
Tante Dana warf einen Blick auf die Uhr und runzelte abermals die Stirn. Quinn wollte sie nicht verärgern, aber mit einem Mal fühlte sie sich innerlich so leicht, als ob die Sonne aufging und ein Regenbogen am Himmel erschien. Alles würde gut werden, sie mussten nicht weg, ihre Eltern hatten ihr Flehen gehört und höheren Orts Fürbitte geleistet. Als Tante Dana laut die Möglichkeit erwog, ein Taxi vor Ort zu bekommen, die Flugtickets zu einem Supersparpreis erwähnte, deren Kosten nicht rückerstattet würden, und dass ihnen die Zeit unter den Nägeln brannte, begann Quinn verstohlen zu lächeln.
Bis Allie, die aus dem Fenster blickte, die verhängnisvollen Worte aussprach, die den Bann brachen. »Er ist da.«
»Wer?«, riefen alle gleichzeitig.
»Der Fahrer, schätze ich. Ein Wagen, den ich nicht kenne, kommt den Hügel rauf. Wir müssen also doch weg«, sagte Allie, und Quinn spürte, wie das Glücksgefühl zerrann.
Bereits in dem Moment, als Dana zur Tür kam, sah Sam die Anspannung in ihrer Körperhaltung und die Unsicherheit in ihren Augen. Die beiden Mädchen standen hinter ihr, die eine mit besorgter, die andere mit wütender Miene, und ein paar Schritte hinter ihnen entdeckte er eine alte Dame. Das Haus war klein und schmucklos, der Garten überwuchert. Aber das Anwesen besaß einen herrlichen Ausblick, der sich mit keinem anderen auf der Welt messen konnte.
»Ich musste kommen«, sagte er und blickte Dana durch die Fliegengittertür an.
Sie stand in der Küche, wo heillose Unordnung herrschte. Sam sah Bücher, Muschelschalen, Bilder an den Wänden und Kupfertöpfe, die von dem obersten Brett eines Regals herabhingen; der Raum strahlte Geschäftigkeit, Sinn für das Praktische und Lebendigkeit aus. Dana schwieg, und plötzlich dachte Sam: Sie will
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