Schilf im Sommerwind
du hast verlernt, was Lily und ich dir beigebracht haben.«
»Ihr beide wart sehr streng. Alle dachten, mit euch hätten wir leichtes Spiel, aber ein einziges schlampiges Manöver und schon waren wir den ganzen Nachmittag zum Üben verdonnert!«
»Ich bin auch heute noch streng.« Dana lächelte. »Meine Schüler in Frankreich können ein Lied davon singen. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt dort drüben nicht nur mit Malen. Ich gebe nach wie vor Segelunterricht, und wenn jemand wendet, obwohl ich ›halsen‹ gesagt habe, dann gnade ihm Gott. Da kenne ich kein Pardon.« Doch insgeheim dachte sie: Was rede ich von Malen? Es ist lange her, seit ich einen Pinsel in die Hand genommen habe.
Woher weiß eine Malerin, warum sie kein Bild mehr zustande bringt? Ist es befriedigender, die Situation zu analysieren, sie auseinander zu nehmen, sie in einzelne Elemente zu zerlegen, um sie besser zu verstehen? Oder ist es gerechtfertigt, Scheuklappen anzulegen, sich zu weigern, die Augen aufzumachen, die Hände in den Schoß zu legen und darauf zu warten, dass die Inspiration zurückkehrt? Rückblickend fragte sie sich, ob sie überhaupt jemals wieder in der Lage sein würde zu malen, solange die Mädchen bei ihr waren, und ob sie nicht vergeblich hoffte, dass sie ihre Kreativität beflügelten.
»Lily und du habt uns jedenfalls eingebläut, wie man segelt. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.«
»Uns auch«, warf Quinn trocken ein.
Allie lachte, und Dana entspannte sich. Die Fahrt wurde angenehmer. Die Angst und Wut der Mädchen schien nachzulassen. Vielleicht hatte sie doch die richtige Entscheidung getroffen. Und dann trat Quinn mit solcher Wucht gegen die Rückenlehne von Danas Sitz, dass sie es bis in die Wirbelsäule spürte.
Sam trat auf die Bremse, aber Dana bedeutete ihm mit einer Geste weiterzufahren. Obwohl Quinn kein Wort sagte, wusste Dana, was sie dachte: Warum hatte Lily nicht besser segeln können, wenn sie eine so gute Segellehrerin war? Wieso war sie an jenem Juliabend, bei ungetrübter Sicht, mit ihrem eigenen Mann auf ihrem eigenen Boot untergegangen?
Die restliche Fahrt zum JFK -Flughafen verlief in unbehaglichem Schweigen, und Dana wollte nur noch eines, sie hinter sich bringen. Sobald sie im Flugzeug saßen, würde sie die Dinge besser im Griff haben, redete sie sich ein. Die Mädchen würden durch den Flug und den Film an Bord abgelenkt sein. Sie hatte drei nebeneinander liegende Plätze direkt über der Tragfläche reserviert, weil die Turbulenzen hier am wenigsten spürbar waren. Dana würde in der Mitte sitzen, damit die beiden Mädchen ihre Köpfe zum Schlafen auf ihre Schultern legen konnten …
Am Flughafen angekommen, fuhr Sam auf den Kurzzeit-Parkplatz. Dana hatte erwartet, dass er sie am Eingang absetzen und weiterfahren würde, aber sie war ihm seltsamerweise dankbar, dass er ihnen noch ein wenig länger Gesellschaft leistete. Er trug ihr Gepäck, mit Ausnahme von Quinns. Sie ließ weder ihn noch jemand anderen an ihren Koffer.
Am Check-in-Schalter weigerte sie sich, ihn auf die Waage zu stellen.
»Das ist Handgepäck«, erklärte sie beharrlich.
»Die Maschine ist ausgebucht«, erklärte Dana. »Warum gibst du den Koffer nicht auf, damit wir ihn nicht mitschleppen müssen, wenn wir im Dutyfree-Shop einkaufen gehen?«
»Ich nehme ihn mit.« Quinns Augen funkelten. »Daddy hat ihn immer auf Geschäftsreisen dabeigehabt, als
Handkoffer.
Wenn er ihn tragen konnte, kann ich es auch! Man soll immer mit leichtem Gepäck reisen, um Zeit zu sparen, hat er gesagt. Er ist genauso groß, wie für Handgepäck vorgeschrieben. Er ist außerdem praktisch, weil er Rollen und einen Handgriff zum Herausziehen hat. Wenn ich ihn also in die Kabine mitnehmen möchte –«
»Natürlich hat er die vorgeschriebene Größe«, warf Sam ruhig ein, als hätte Quinn gerade eine völlig vernünftige Bitte geäußert. »Für mich sieht er auch wie Handgepäck aus …«
»Also gut«, entgegnete Dana schnell. »Mach es so, wie du meinst.«
Sie seufzte, erschauerte angesichts der Kraft, die ihre Nichte zeigte. Sie hatte nicht gewusst, dass der abgewetzte schwarze Handkoffer heilig war, weil Mark ihn auf seinen häufigen Reisen dabeigehabt hatte. Sie sah, wie Sam sich hinunterbeugte, die Machart des Koffers bewunderte. Quinn deutete auf die Rollen und gestattete Sam, den Handgriff zu bewegen.
»Ausgezeichnete Qualität, dieser Koffer«, lobte er.
»Ja, er ist Klasse!« Quinns Unterlippe zitterte wie
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