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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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denn als Tante Dana Allie und ihr gesagt hatte, dass er kommen würde, dachte Quinn, ihr Herz würde aussetzen. Eine Hitzewelle war in ihrer Brust aufgestiegen, hatte sich wie Lava ihren Weg übers Gesicht gebahnt, rot und heiß. Und als sie merkte, dass Tante Dana keine Ahnung hatte, welche Kräuter sie wie verwenden sollte, wäre sie am liebsten vor Scham im Boden versunken.
    Oder im nächsten Mauseloch verschwunden.
    Tante Dana gab sich große Mühe, nett und fair zu sein, eine Bilderbuchtante wie aus
Mary Poppins
, als Wiedergutmachung dafür, dass sie die Mädchen beinahe mit nach Frankreich geschleppt hätte. Sie hatte Quinn nicht einmal zur Rede gestellt. Sie hatte sogar ziemlich gelassen hingenommen, was Quinn ihr eingebrockt hatte, abgesehen von den forschenden Blicken. Quinn war nahe daran gewesen, Farbe zu bekennen. So schlimm war es offenbar nicht, was sie angestellt hatte, und zu beichten wäre eine große Erleichterung gewesen.
    Im schlimmsten Fall, malte sie sich aus, könnte ihre Tante stinksauer auf sie sein und dann … keine Ahnung, wie sie reagieren würde.
    Eine andere Sache, die Quinn zu schaffen machte, war die Frage: Warum fing Tante Dana nicht endlich an zu malen, wenn sie ernsthaft in Erwägung zog, hier zu bleiben? Warum ließ sie sich nicht ihre Spezialfarben und Malutensilien aus Frankreich kommen? Und warum machte sie das Boot nicht startklar? Quinn hoffte, Dana würde es endlich tun, damit sie auch wieder segeln könnte.
    Aber sie traute sich nicht zu fragen, aus Angst, sich gleich wieder in die Nesseln zu setzen. Als Sühne für ihre Eigenmächtigkeit machte sich Quinn mit Feuereifer daran, ihr in der Küche zu helfen.
    Sie riss den Kopfsalat in mundgerechte Stücke und zeigte Dana, wie ihre Mutter das Dressing zubereitet hatte. Dann lief sie in den Schuppen hinunter und begab sich auf die Suche nach dem Sack Holzkohle, die ihr Vater zu benutzen pflegte, eine spezielle Sorte mit Apfelduft, von einem Baum in Martha’s Vineyard: die ölige Goldmakrele brauchte jede Geschmacksverbesserung, deren sie habhaft werden konnte. Anschließend half sie Dana, die Kräuter auf dem Fisch zu verteilen.
    »Essen wir draußen?«, fragte Quinn hoffnungsvoll.
    »Es ist windig«, meinte Allie. »Die Goldmakrele kühlt zu schnell ab, dann schmeckt sie noch ekliger.«
    »Gut, da denkt jemand mit«, sagte Tante Dana. »Wie wäre es mit dem Esszimmer?«
    Quinn sah, dass Allie ihre Worte am liebsten zurückgenommen hätte. Als Tante Dana Quinn bat, den Esszimmertisch zu decken, blieb ihr keine andere Wahl. Sie hatte es sich selbst zuzuschreiben, schließlich war sie es gewesen, die Sam angerufen hatte.
    Das war die Strafe.
    Die Familie benutzte das Esszimmer nicht mehr. Grandma hatte ihnen erlaubt, ihre Teller auf Tabletts mit ins Wohnzimmer zu nehmen, und Tante Dana schien gerne in der Küche zu essen.
    Der Esstisch erinnerte Quinn an ihre Eltern. Er war aus Eiche. Sie legten nie eine Tischdecke auf, damit man die Maserung im Holz sah; sie war dunkel und verwirbelt, erzählte ihre eigene Geschichte. Jedes Familienmitglied hatte einen Stammplatz, vor dem Sets mit verschiedenen Schiffen lagen. Auf Quinns war die
White Star
, auf Allies die
Eliza Nicholson
, auf Mommys die
Istambul
und auf Dads die
James Baines
abgebildet. Als Quinn die Sets aus dem Schrank nahm, zitterten ihre Hände.
    Sie konnte die ihrer Eltern niemand anderem geben. Aber das waren die einzigen, die sie hatten. Quinn löste das Problem, indem sie alle Sets unter das unterste Bord des Bücherregals schob. Der Tisch wirkte kahl, aber sie hoffte, dass Tante Dana nichts bemerkte.
    Als Ausgleich holte sie die Kristall-Kerzenleuchter heraus und für die Mitte des Tisches einen dekorativen Tafelaufsatz aus den Gehäusen von Kreiselschnecken, Kammmuscheln und Wellhornschnecken. Der Abend war schließlich wichtig. Die Unterhaltung musste langsam, aber sicher auf das Meer zusteuern, egal, wie. Und wie ließ sich das besser bewerkstelligen als mit Mollusken und zweischaligen Muscheln?
    »Das ist aber hübsch «, sagte Tante Dana, als sie hereinkam, um zu sehen, wie weit Quinn war.
    »Danke.«
    »Schön, wie du die Muschelschalen angeordnet hast.«
    Nickend ging Quinn um den Esstisch herum. Sie legte die Hände auf jeden einzelnen mit Leinwand bezogenen Hitchcock-Stuhl, um sich zu vergewissern, dass ihre Tante über die Sitzordnung im Bilde war. »Allie und ich sitzen hier und dort«, sagte sie und deutete auf zwei Stühle, die sich gegenüber standen.

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