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Schilf

Schilf

Titel: Schilf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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klatschen. Nur unter Protest haben die Männer der Spurensicherung auf ihre Anweisung zwei Quadratmeter Waldboden mit aller Vorsicht geborgen und inklusive etlicher aufgeregter Ameisen ins Labor verbracht. Nun liegen die genetischen Informationen eines Mannes vor, der zwar bislang in keiner Datenbank verzeichnet ist, aber dennoch in Kürze gefunden wird. Nämlich von ihr. Überdies hat eine empörte Freiburgerin Anzeige gegen Unbekannt erstattet, weil sie am Morgen nach dem Mord einen Haufen Unrat in ihrer Biotonne fand. Damit hat Rita beinahe alles, was sie braucht, Tatwerkzeug, Tatschuhe, Tathose und -hemd, bis auf den Mörder, dessen drängende Abwesenheit beinahe gegenständliche Formen anzunehmen beginnt. Aufgefundene Haare machen ihn blond; durch seine Fußabdrücke wird er 1,90 Meter groß und 85 Kilo schwer. Bestimmt ein hübscher und kluger Mörder, keiner von diesen armen Teufeln, die man nur mit Bedauern hinter Gitter bringt.
    Den Vormittag wird Rita im Krankenhaus verbringen und weiter nach einem Mann Ausschau halten, der ins Muster passt. In der kardiologischen Abteilung geht das Gerücht um, Dabbeling sei bedroht worden. Aber wie und durch wen, will niemand wissen. In einer derart brisanten Situation könnte praktisch jeder an Dabbelings Tod interessiert gewesen sein. Ein Pharmakonzern, der einen milliardenschweren Ruf zu verlieren hat. Eine Krankenschwester, die um ihren Job fürchtet. Chefarzt Schlüter, dem ein Mitwisser zu gefährlich geworden ist. Letzteren wird Rita zum wiederholten Mal abfangen, bevor er sich in seinem Operationssaal verschanzen kann. Seit die Universität die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Chefarzt prüft, ist dieser auf seiner Abteilung regelrecht unsichtbar. Die Strafanzeige, die den Medizinerskandal ausgelöst hat, erfolgte anonym. Schlüter behauptet, dass ein konkurrierender Herzspezialist ihn anschwärzen wolle.
    Überhaupt wird Rita auch heute jeden befragen, den sie zu fassen bekommt. Am Nachmittag wird sie noch einmal im Radsportclub vorbeischauen. Die Kollegen, die sich direkt um den Medizinerskandal kümmern, halten sie rund um die Uhr auf dem Laufenden. Rita wirft die Unterlagen auf den Tisch und dehnt die Arme. Sie gedenkt, diesen Fall zu lösen, bevor sich Kriminalhauptkommissar Schilf sein Bahnticket nach Freiburg kaufen kann. An fehlender Beharrlichkeit soll es jedenfalls nicht scheitern.
    Den Polizeiobermeister Schnurpfeil erkennt sie am Klopfen. Wie immer wartet er auf ein deutliches Herein, bevor er die Tür einen Spalt öffnet, den Kopf ins Zimmer schiebt und einer Wiederholung der Aufforderung entgegenlächelt. Erst wenn Rita ihr »Nun kommen Sie schon!« gerufen hat, sammelt er seine Riesenhaftigkeit zusammen und bringt sich freistehend mitten im Raum ins Gleichgewicht. Schnurpfeil ist zehn Jahre jünger als die Kommissarin und der einzige Mensch auf dem Revier, der in seiner stoischen Art mit ihr umzugehen versteht. Die jungen Polizeimeisteranwärterinnen halten ihn für den bestaussehenden Mann der Polizeidirektion. Trotzdem wirkt er immer unsicher, als säße unter seinen Muskelmassen ein erschrockenes Kerlchen, stets in Sorge, dass man es eines Tages herausholen könnte. Auch jetzt scheint sich Schnurpfeil auf der Warte seiner Körperhöhe nicht ganz wohl zu fühlen. Wenn er von Kollegen gefragt wird, wie er Rita Skuras Launen erträgt, zuckt er die Schultern und erwidert, dass sie klug sei und obendrein ein guter Kommissar. Ob ihre Haare denen eines Pferdes gleichen, kann er nicht beurteilen, und was er ansonsten über sie denkt, behält er für sich. Der Polizeiobermeister wird immer vorgeschickt, wenn es schlechte Nachrichten gibt. Das weiß er so gut wie sie. Er steht neben dem Schreibtisch und dreht seine Mütze in den Händen. Einen Sitzplatz hat Rita ihm noch nie angeboten.
    »Schnurpfeil«, sagt sie und tut so, als gäbe es noch etwas in der Akte zu prüfen. »Fahren Sie mich ins Krankenhaus?«
    »Ja«, sagt Schnurpfeil, und nach kurzer Überlegung: »Auch.«
    Er schaut auf und versucht es noch einmal mit Lächeln. Was seine Kollegen niemals begreifen werden, ist, dass er gern mit Rita Skura spricht. Er hat nichts gegen handfeste Umgangsformen und findet es in Ordnung, wenn sie ihn militärisch mit Nachnamen anspricht. Schließlich ist er nur ein junger Polizeiobermeister und sie ein vielversprechender Kommissar. Meist weiß er seine Antworten so vorzubringen, dass sie sich nicht aufregt. Darauf ist er stolz.
    »Bringen

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