Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
durch den Dschungel vor uns. Barbara hatte sich für alle Fälle mit einer kleinen Kräuterapotheke, einer übel riechenden Salbe zur Insektenabschreckung sowie Verbandsmaterial ausgerüstet.
Wir gaben Karin und Johannes die Instruktion, den Kasten zu schließen, sobald wir von der Bildfläche verschwunden waren, ihn draußen auf den gepflasterten Hof zu stellen und niemanden in seine Nähe zu lassen. Falls nach einem Tag noch nichts geschehen sei, sollten sie ihn irgendwo vergraben. Jack vermutete, dass der Kristall in dem Moment explodieren würde, in dem wir sein Gegenstück in der Zukunft zerstören würden. Vielleicht würde er auch aufhören zu leuchten, für immer, um nur noch ein nettes Accessoire auf dem Kaminsims darzustellen, oder sich einfach in Luft auflösen.
Wir wussten es nicht und wollten lieber sichergehen. Karin versprach, uns über den Verbleib des Kristalls in ihrem Tagebuch zu informieren. Ich konnte es bereits jetzt kaum erwarten, es zu lesen, was theoretisch in ein paar Tagen der Fall sein könnte. Ein faszinierender Gedanke, denn sie hatte es ja noch nicht einmal geschrieben.
Vermeintlich gut vorbereitet, fassten wir uns an den schweißnassen Händen und atmeten tief durch. Ich sah mich noch einmal im Raum um und versuchte mir jede Kleinigkeit einzuprägen. Hierher würde ich definitiv nie mehr zurückkehren.
„Bring sie gut durch den Dschungel, Jack!“, rief Johannes.
Er lachte und versprach es.
Barbara und Anette hielten sich an der Hand, ich nahm die von Jack und umklammerte sie fest. Ein ängstlicher Blick in seinen Augen ließ mich innehalten. Vielleicht würden wir uns nie mehr wieder sehen? Schweißrinnsale liefen an seinen Schläfen herab, obwohl es nicht heiß im Raum war. Hatte er etwa doch Angst?
„Bis ins Jahr 1980, Engelchen.“
„Jetzt!“
Das Kommando kam von Karin, Jack hatte es so mit ihr abgesprochen. Gleichzeitig berührten wir mit den Fingerspitzen den Kristall. Augenblicklich setzte der Schwindel ein, ich sah den Raum um mich herumwirbeln, Karins erschrecktes Gesicht, den staunenden, Kopf schüttelnden Johannes und die betende Anna. Jacks Griff wurde fester, und ich fiel in ein tiefes, schwarzes Loch.
8
Ich erwachte mit schmerzenden Gliedern, und mein Kopf wollte schier zerplatzen.
„Isabel?“
Jack schüttelte mich sanft, ich schlug die Augen auf und sah in sein grinsendes Gesicht.
„Wir sind da, Engelchen. Das ist wirklich eine verlässliche Airline.“
Ein Scherz. Demnach musste alles gut verlaufen sein. Langsam drehte ich meinen Kopf und erkannte beruhigt, dass mich das Gestein des Tempels in Mexiko umgab. Ich konnte es kaum fassen, ich befand mich wirklich nicht mehr in Annas Haus, sondern in einer anderen Zeit, in der es nach feuchter, abgestandener Luft roch.
Mühsam versuchte ich aufzustehen, und Jack half mir dabei. Barbara und Anette standen neben ihm. Die Kopfschmerzen waren drückend, und ich rieb mir die Stirn.
Ich sah mich um. Hier hatte sich nichts verändert, der Kristall befand sich noch immer an derselben Stelle und leuchtete einladend, doch ich wollte diese Einladung keinesfalls ein zweites Mal annehmen. Ich schloss daraus, dass in der Zwischenzeit niemand hier gewesen war. Jetzt konnten wir unsere Aufgabe vollenden und danach endlich unser normales Leben weiterführen.
„Oh Mann, ich fasse es nicht“, sagte Anette und sah sich um. „Ist wirklich fast ein Jahr vergangen, oder ist es gar nicht passiert?“
Verwirrt raufte sie sich die Haare.
„Es ist passiert. Karin fehlt“, stellte ich traurig fest.
Anette schüttelte den Kopf, und ihr inzwischen langes dunkles Haar verdeckte kurz ihr Gesicht, als sie sprach.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie schon seit ungefähr hundertfünfzig Jahren vermodert zwei Meter tiefer liegen soll, wo ich noch vor einer Minute mit ihr gesprochen habe.“
„Das hast du aber poetisch ausgedrückt“, bemerkte Jack grinsend.
Barbara weinte leise. Ich nahm sie in den Arm.
„Sie hat recht, Isabel, vor ein paar Minuten habe ich sie noch umarmt, und jetzt soll sie schon lange tot sein? Ich begreife das einfach nicht.“
„Das ist so eine Sache mit der Zeit“, sagte Jack und schwang seinen Wanderbeutel über die Schulter. „Ihr müsst eure Denkweise ändern. Karin ist nicht tot, sie lebt in diesem Moment, genau wie wir.“
„Das verstehe ich nicht“, sagte Barbara kopfschüttelnd.
„Sieh mal, theoretisch brauchen wir doch nur den Kristall noch einmal zu
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