Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
unhöflich war, doch sie wollten nichts davon hören.
„Ich freue mich riesig für euch“, sagte Anette und umarmte mich. „Wenigstens habt ihr euch noch. Denk mal an die arme Anna. Aber was ist jetzt mit Robert?“
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich noch nie so etwas für einen Mann empfunden habe.“
„Und ihm scheint es genauso zu gehen. Du bist zu beneiden“, sagte Anette lächelnd.
„Er ist im Moment nicht zu beneiden“, erinnerte Karin. „Hoffentlich geht alles gut“, setzte sie ahnungsvoll hinzu.
In diesem Augenblick ließ uns ein Geräusch auf dem Flur aufhorchen, und Sekunden später stand Jack in der Tür. Er wirkte blass, das Gespräch hatte ihn Kraft gekostet. Ich legte eine Hand auf meinen Magen, der sich schmerzhaft zusammenzog.
„Anna ist jetzt mit Barbara im Schlafzimmer. Sie hat ihr gleich etwas zur Beruhigung gegeben“, sagte er und setzte sich auf ein Bett.
„Was sagte sie dazu?“, wollte ich wissen.
„Tja, eigentlich gar nichts. Sie wirkte sehr gefasst und starrte ins Leere. Als ob sie bereits etwas Schlimmes ahnte, als ich ihr Zimmer betrat, was schließlich bisher noch nie vorgekommen ist.“
„Ich vermute, der Zusammenbruch kommt später“, sagte Anette.
„Möglich“, murmelte Jack und erhob sich. „Ich gehe jetzt zum Pfarrer, die Formalitäten regeln. Kann jemand mitkommen? Ich habe keine Ahnung, wie die Deutschen ihre Beerdigungen begehen.“
Ich griff nach seiner Hand.
„Ich auch nicht. Jedenfalls nicht im 18. Jahrhundert, aber man wird es uns sicher erklären.“
Hand in Hand gingen wir langsam bis zu dem nicht weit entfernt liegenden Pfarrhaus. Der Pfarrer war ein kleiner, rundlicher Mann, und seine vorstehenden Augen erinnerten mich an die Gemälde in Annas Haus. Der Mann begrüßte uns beinahe fröhlich. Mir schlug eine Duftwelle aus Schweiß und Alkohol entgegen, als er mir die Hand gab. Unauffällig wischte ich meine Hand am Umhang ab, um den klebrigen Film loszuwerden, den sein Händedruck hinterlassen hatte. Als ob er sich plötzlich an den Ernst der Lage erinnerte, wählte er einen getragenen Ton.
„Mein Name ist Adolf Schumann. Aber jeder nennt mich Pfarrer Adolf.“
Adolf? Kein Mensch hieß mehr Adolf, seit ... Dann fiel mir ein, dass Adolf in diesem Jahrhundert noch ein unverfänglicher Name war.
„Wartet bitte hier, ich stehe sogleich zur Verfügung“, sagte er freundlich und verschwand hinter einer Tür.
Wir befanden uns in einer Art Vorraum zu seinem Pfarramt, und es roch muffig mit einem Hauch von Gebratenem, der wohl noch von gestern im Zimmer hing.
„Warum bist du denn eben so zusammengezuckt?“, fragte Jack mit gerunzelter Stirn.
Ich trat unbehaglich von einem Bein auf das andere.
„Der Mann heißt Adolf.“
Jacks Blick ließ vermuten, dass er nicht wusste, worauf ich hinauswollte.
„Na, Adolf, wie Adolf Hitler“, flüsterte ich, als lauerten überall Spione. Jack lachte auf.
„Hier wimmelt es von Adolfs, da bin ich ganz sicher“, sagte er grinsend. „Wenn wir zu Hause sind, könnten wir mit Hilfe des Kristalls theoretisch versuchen, im Jahr von Hitlers Zeugung vorbeizuschauen und seiner Mutter die Anti-Baby-Pille ans Herz zu legen.“
Ich starrte ihn entgeistert an. Gute Idee, fand ich.
Der Pfarrer kehrte zurück. Er klärte uns über den Ablauf der hiesigen Beerdigungen auf, und ich musste unpassenderweise ständig an Hitler und die Pille denken. Was wohl aus der Geschichte geworden wäre, hätte er nie gelebt? Faszinierend. Die Welt sähe anders aus, hätte es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. Ehrfürchtig dachte ich an den Kristall, dem eine Macht innewohnte, mit der man einigen Unfug in Raum und Zeit anstellen konnte. Aber es war ein gefährliches Spiel, die Vergangenheit zu verändern, denn niemand auf Erden besaß die erforderliche Intelligenz, um alle Konsequenzen zu bedenken.
„Wir sind nicht mit Herrn Göttmann verwandt. Ist das ein Problem?“, fragte Jack, der sich darüber gewundert hatte, dass Anna keine weiteren Verwandten erwähnt hatte, die über den Todesfall benachrichtigt werden mussten. Pfarrer Adolf zuckte mit den Schultern.
„Nein. Soweit mir bekannt ist, sind die Eltern bereits verstorben, und Herr Göttmann hatte keine Geschwister. Über weitere Verwandte ist mir nichts bekannt. Welch ein Glücksfall, dass gerade jetzt ein Mann im Hause weilt, der unserer armen Frau Göttmann behilflich sein kann.“
Er lächelte, doch in seinen Augen lag ein spöttischer, wenn nicht
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