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Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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Buchstützen rechts und links von Opa Bomba, sie hatten ihn fest untergehakt und stützten ihn, während der Prediger die Worte und Gebete sprach.  
    Doch als der Prediger zum letzten Amen kam, entfesselten Schmerz und Trauer die Schimmer von Jung und Alt. Ein Blitz schlug in einen Baum ganz in der Nähe ein. Libellen und Hummeln umschwärmten den Sarg, wie lebendige Feuerwerkskörper surrten und sausten sie umher. Das Gras unter unseren Füßen wurde hoch und dicht, Blumenknospen sprangen auf und erfüllten die Luft mit einem betörenden Duft. Unterirdische Rasensprenger schossen Fontänen gleich hoch und umgaben uns mit einem großartigen Schauspiel scheinbar choreografierter Wasserspiele im Walzertanz, ohne dass ein einziger Tropfen auf die Trauergäste fiel.  
    Und schließlich, als die Tränen über Opa Bombas Wangen liefen, fing die Erde an zu grollen. Grabsteine schwankten und die Klappstühle kippelten und klapperten hin und her, während alle noch darauf saßen und sich festhielten. Die Erde bebte heftig, Omas Einmachgläser wackelten und zerbrachen und ein Klangkrawall erfüllte die Luft. Orgelmusik und Gospelgesänge, Country-Western-Balladen und Hum-ta-ta-Polkamusik flogen wie Konfetti in die Luft. Berühmte Stimmen landeten auf der Brise mit Worten, die süß waren und scharf, mit starken, bewegenden Reden. Da waren Worte wie Traum und Worte wie Freiheit , die mit den Stimmen von Frauen, Männern und Kindern in der Luft hängenblieben.  
    Und Poppa hatte die Arme um mich geschlungen, und wir schlossen die Augen und lauschten gemeinsam dem Klangspektakel, der Prozession von Melodien, den verklingenden Radiowellen von Oma Dollops Schimmer.  
    Diese Erinnerungen und noch mehr strömten in meinen Kopf, als ich mich in dem Motelbett bei Lincoln hin und her wälzte. Das war alles nur für Poppa, sagte ich mir – dass ich weggelaufen war, das ganze Durcheinander und der ganze Ärger. Es war alles für Poppa.  
    Aber irgendetwas an diesem Gedanken nagte an mir – etwas ließ meinen Verstand stillstehen, irgendein kniffliger Knoten in den tiefsten Tiefen meiner Magengrube.  
    Ich war doch wirklich für Poppa weggelaufen … oder?  
    Ich war aus der Kirche in Hebron geflüchtet in der Überzeugung, ich könnte meinen Poppa aufwecken und alles wiedergutmachen. Doch wie ich da in dem allzu dunklen Zimmer des Lincoln Sleepy 10 lag, mit einem T-Shirt aus dem Super-Supermarkt, an dem noch das piksige Preisschild hing, kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht nicht nur wegen Poppa weggelaufen war. Weglaufen tut man ja immer vor irgendwas. Als ich aus der Kirche in Hebron gegangen war, da wollte ich zu Poppa, aber vielleicht – vielleicht  – gab es ja auch etwas, wovor ich weglief. Vor meinem unerwarteten, unerwünschten Schimmer. Vor der Tatsache, dass ich älter wurde und dass das Leben sich so schnell änderte, so gewiss und so elektrisierend und erschreckend wie Rockets Funken, Fishs Hurrikan oder ein allererster Kuss. Diese Gedanken hielten mich hellwach bis tief in die Nacht.  
    Am nächsten Morgen kamen die Jungs um kurz nach neun in unser Zimmer geschlichen, sie balancierten Styroportabletts mit dicken, knusprigen Waffeln und Plastiktassen mit Orangensaft aus der Frühstücksbar unten. Will junior trug ein langes schwarzes Super-Supermarkt-T-Shirt und seine Haare waren zottig und zauselig. Seit wir aus Hebron abgehauen waren, hatte Will den todernsten Ausdruck, den ich an ihm kannte, fast vollständig verloren.  
    »Es wird spät«, sagte Lill, zog die Vorhänge auf und raubte mir mit der grellen Morgensonne fast das Augenlicht. »Ich hab euch zu lange schlafen lassen.«  
    »Wach auf, Dornröschen«, sagte Will und schob mir einen Teller mit sirupsüßen Waffeln hin.  
    »Ihr wart unten?«, flüsterte ich so leise, dass Lill nichts mitbekam. »Hat euch jemand gesehen?«  
    Will beugte sich dicht zu meinem Ohr. »Keiner hat uns gesehen, Mibs«, flüsterte er, dann setzte er sich auf die Kante des anderen Betts neben Fish, der schon angefangen hatte sein Frühstück zu verdrücken.  
    Bobbi war im Bad, sie brauchte eine Ewigkeit, um sich zurechtzumachen, und Lill strubbelte und striegelte Samson, sie versuchte seine dunkle Mähne zu kämmen, bevor er sich in den leeren Wandschrank verkrümeln konnte. Fish mir gegenüber rülpste, dass es die wahre Wonne war, und Will junior tat es ihm nach, so lang und so laut, als wollte er einen neuen Weltrekord aufstellen.  
    Ich schaute

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