Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
durch die SMS, die mich in Tom O’Brians Off-Road-Van erreicht hat.
Ich speichere mein Dokument als Carla.doc und stehe gegen zweiundzwanzig Uhr am Airport von CobyCounty. Die Musik ist nicht laut genug, sie wird ständig vom Fluglärm übertönt, doch das Landegeräusch der Discountflugzeuge bekommt selbst den Charakter eines umjubelten Songs. Viele sind hier mit Freunden verabredet, die aber jetzt noch in diesen Flugzeugen sitzen. Man fällt sich in die Arme, man beginnt die gemeinsamen Ferien. Das Alleinstellungsmerkmal dieser Party am Airport sind die Gepäckstücke. Zwischen den Tanzenden stehen Taschen, Koffer und Rucksäcke, die alles etwas improvisiert aussehen lassen. Es werden viele Getränke mit Taurin und Koffein angeboten, denn eigentlich sind die Anwesenden ja müde vom Flug und gar nicht so richtig in Stimmung. Aus meiner kaffeelosen Teenagerzeit bin ich noch daran gewöhnt, diese Drinks zu meiden. Ich erinnere mich daran, wie Wesley auf dem Rückweg letztes Jahr von seinem ›flatternden Herz‹ erzählt hat und dabei sogar leicht nervös schwitzte. Einige der Besucher kommen mir empfindlich jung vor, sodass ich mich frage, ob das nicht eher die kleinen Geschwister der eigentlichen Freiberufler aus den Metropolen sind. Vielleicht wird das Freiberufler- und Frühjahrspublikum aber auch tendenziell immer jünger, weil die Leute schneller mit ihren verkürzten Studiengängen fertig werden. Dies könnte langfristig das Niveau der Frühlingswochen in CobyCounty beeinträchtigen, überlege ich, aber relativiere es gleich wieder, denn diese Opening Party am Flughafengelände war nie ein echter Höhepunkt, wenn auch immer ein Anlass mit Tradition.
Zwischen den Tanzenden küssen sich ein Junge und ein Mädchen. Sie scheinen sich gerade kennenzulernen, wirken beide betrunken und haben die meiste Zeit die Augen geschlossen. Sie wissen, dass sie ein Bild abgeben. Bei einigen seiner Bewegungen, wenn die Hand zum Beispiel schon ihren Po streift, weicht sie zurück. Dann schauen sie sich kurz an. Er simuliert einen weichen Blick, den er sich im betrunkenen Zustand vielleicht sogar selbst glaubt, und sie genießt seinen leicht gelogenen Ausdruck, muss aber stets ihre Grenzen markieren. So wahren beide ihr Gesicht und können am nächsten Tag von einem Erfolg erzählen, von einem sinnlichen Erlebnis, aus dem sie jeweils als Gewinner hervorgegangen sind. Er hat sie gekriegt und sie hat klargemacht, dass sie nicht so leicht zu kriegen war. Ich schaue dem Paar dumpf von der Seite zu. Indirekt beneide ich sie natürlich, aber vielleicht nur weil ich übernächtigt bin. »Diese beiden rund zwanzigjährigen, gut gebauten Touristen dort vorne, das sind eigentlich ganz armselige Gestalten, die es in ihrer eleganten Frühjahrskleidung nötig haben, Leidenschaft füreinander vorzutäuschen« , will ich denken, doch es gelingt mir nicht. Denn auch wenn ihre Gesten und Aktionen von außen durchschaubar sind, so lassen sie sich von innen ja doch mit Bedeutung aufladen, zumindest für den Moment. Das muss ich wohl einsehen. Dann plötzlich wird meine Schulter von einer warmen Hand berührt, ich drehe mich um, ich erkenne den Typen sofort: Vor mir steht Frank, die ehemalige Affäre von Wesley.
»Wim!?«
»Ja … Frank?«
»Genau! Wie geht es dir?«
»Sehr gut. Bin vielleicht ein wenig müde heute. Sonst aber alles super …«
»Hast du was Neues von Wesley gehört?«
»Was meinst du?«
»Na ja. Er meinte, dass ich dir was sagen soll, wenn ich dir mal begegne …«
Franks Pupillen sind geweitet und er spricht, als käme ihm sein eigenes Sprechen ungewöhnlich präzise vor. Zu allem Überfluss zuckt sein linkes Augenlid. Ich frage: »Was sollst du mir denn sagen?«
»Dir bleibt noch Zeit bis zu Carlas Geburtstag. So schätzt er das ein. Das soll ich dir ausrichten. Aber danach ist es zu spät.«
»Für was?«
Frank räuspert sich und glaubt, durch sein Räuspern weiter an Präsenz und Autorität zu gewinnen: »Wesley meinte, das wüsstest du schon selbst.«
Frank geht eine Runde über das Partygelände, während ich stehen bleibe. Als er nach einigen Minuten wieder vor mir auftaucht und auf irgendetwas zu warten scheint, behaupte ich, dass ich zu müde bin, um hier noch länger herumzutanzen.
»Aber du tanzt doch gar nicht« , sagt Frank.
»Bevor du aufgetaucht bist, habe ich noch sehr viel getanzt. Aber jetzt will ich lieber darüber nachdenken, was Wesley gemeint haben könnte …«
Frank hebt die Schultern. Er
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