Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
scheint nun ein leicht schlechtes Gewissen zu haben: »Wollen wir unsere Telefonnummern austauschen? Dann können wir uns anrufen, wenn einer von uns was Neues hört.«
Ich behaupte, mein Handy nicht bei mir zu tragen, was reichlich absurd wäre, was mir Frank aber sofort zu glauben scheint. Ich nenne ihm eine falsche Nummer, auf der er dann sinnlos anklingeln lässt, und dann umarmen wir uns tatsächlich, auf eine enorm verlogene Art, und ich gehe in Richtung Shuttlebus davon. Hinter mir höre ich die Leute jubeln, das nächste Flugzeug landet, es werden ständig neue Gepäckstücke auf die Tanzfläche gestellt, und ich wünschte, Frank wäre niemals nach CobyCounty gezogen.
Dass es draußen schon wieder hell ist, wird von den Passagieren des Shuttlebusses stoisch zur Kenntnis genommen. Niemand macht ein Thema daraus. Niemand denkt darüber nach, dass es etwas Besonderes sein könnte, eine ganze Nacht lang gar nicht zu schlafen und dann auf weichen Drogen in den Morgen zu blicken. Alle Plätze scheinen von Touristen besetzt, viele kommen mir bekannt vor, doch ich kenne keinen der Namen, also niemanden persönlich. Die meisten haben ihr Urlaubshandgepäck über sich in die Ablagen geschoben und starren zum Fenster hinaus. Manche leiden vielleicht unter der Zeitverschiebung, vielleicht auch unter der verbrauchten Luft im Busshuttle oder nachträglich unter dem inadäquaten Essen im Discountflugzeug. Doch keiner wird sich jemals an dieses latente Leid erinnern, wenn er nach seiner Rückkehr an CobyCounty denkt, sondern viel eher an die Begegnungen, den Rausch, die Sonne. Da bin ich fast sicher.
An der Haltestelle ›Promenade‹ verlassen die meisten den Bus. Die blaue Stunde ist gerade vorbei und das Licht schon so hell, dass man sofort an den Strand gehen könnte. Fast alle Pfützen sind weggedunstet. Zahllose Sonnenbrillen werden aufgesetzt, Sporttaschen über die Schultern gewuchtet und Rollkoffer gezogen. Ich gehe einen umständlichen Weg nach Hause, fast glaube ich, dass ich noch nie zuvor einen so umständlichen Weg gegangen bin. Es ist eine Art Spaziergang in den Vormittag hinein, und eine ganz neue, leicht verwirrte Variante, den Frühling zu begrüßen.
»Als wir uns damals aufmachten, um in den Frühling nach CobyCounty zu ziehen, schien dies aus einer leicht angetrunkenen Laune zu geschehen. Diese Laune trägt uns jetzt seit vierundvierzig Jahren durch ein fantastisches Leben.«
* Mutter Endersson, 65,
Expertin für Marketing und Emphase
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Ich strecke mein Eisteeglas in die Luft und halte es vor die Sonne, sodass der Eistee golden leuchtet. Lichteindrücke wie diese sollen im Körper ja zur Produktion bestimmter Vitamine führen, und diese Vitamine sollen später für ein Wohlbefinden sorgen. Also sitze ich für eine Weile nur so da und starre in den goldenen Eistee, bis mir auffällt, dass ich in der Hoffnung auf mehr Wohlbefinden gerade biologistische Überlegungen anstelle. Ich habe keine Ahnung, woher ich diese Überlegungen überhaupt nehme, vermutlich aus dem Internet, denn aus der Highschool oder aus dem College habe ich sie ganz sicher nicht. Auch von meinen Eltern weiß ich, wie unproduktiv und erniedrigend solche Gedanken über biologische Zusammenhänge sind, und dass die nirgendwo hinführen. Ich senke das Glas und blicke zur See. Es ist schon der dritte Frühlingsmorgen und ich bin immer noch nicht vor der Tür gewesen. Dabei scheint jetzt ganztägig die Sonne, und ich kann von meinem Balkon aus beobachten, wie touristische Gruppen in Richtung Promenade schlendern. Jederzeit könnte ich mich ihnen anschließen, selbst alleine, als Einheimischer kommt man leicht ins Gespräch, oft wird man sogar angeflirtet. Der Strand ist heute sicher gut besucht, vielleicht schon überfüllt, aber das Herumliegen dort würde mich mutmaßlich nur an andere Frühlingsjahre erinnern, zum Beispiel an letztes, als ich mit Carla versucht habe, den perfekten Menschen aus Sand zu bauen. Ein paar Besucher aus Nordeuropa, die mit Bodyboards im seichten Wasser spielten, dienten uns als Modelle. Trotz einiger Mühe haben wir es mit den Sandfiguren nie besonders weit gebracht, sie sind immer wieder schnell in sich zusammengefallen, weil der Sand entweder zu trocken war oder wir einfach zu ungeschickt. Wir haben viel gelacht an diesem Nachmittag, auch weil wir die perfekte Sandfigur mit einiger Bedeutung aufluden, wenn auch nur zum Spaß. Aber diese Verklärungen führen mich jetzt auch nirgendwohin, also stelle
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