Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
spreche.«
»Okay. Und das tust du ja gerade.«
»Genau, Wim. Das tue ich gerade … Noch etwas mehr Kaffee?«
Ich schüttle den Kopf.
»Hast du in den letzten Nächten irgendwelche Mittel zu dir genommen, die nicht so richtig gut waren?«
»Nur Eistee.«
»Wim. Ich verordne dir Urlaub.«
Ich kann Calvins Satz, so wie er mit einem Mal im Raum zwischen uns steht, nicht einordnen. Es scheint mir, als läge da ein vieldeutiges Lächeln um seine Mundwinkel, als meine er auf jeden Fall etwas anderes als das, was er gerade gesagt hat: »Du entlässt mich?« Nun lächle wiederum ich, fast herausfordernd, und dabei schlägt mein Puls nun härter als zuvor, was sicherlich auch am Kaffee liegt.
»Ich würde dich nie entlassen, Wim. Du bist ein talentierter Agent. Du hast einen guten Blick für das Anrührende und verstehst es, in schlichten Dingen die Avantgarde zu erkennen. Außerdem hast du immer schnell dazugelernt.« Hier macht Calvin Van Persy eine Sprechpause, um einen Schluck starken Espresso zu trinken. »Aber in den letzten zwei Wochen erkenne ich dich kaum wieder. Als wäre da etwas abhandengekommen. Und ich merke dir an, dass du deinem eigenen Zustand leicht sprachlos gegenübersitzt.«
Calvin Van Persys Beschreibung erscheint mir völlig griffig und richtig. Ich bitte ihn nun doch um etwas mehr Kaffee, vielleicht um die Situation zu entspannen, vielleicht aber auch aus einem neuen selbstzerstörerischen Trieb heraus. Calvin nimmt meine leere Tasse und geht mit ihr zur Maschine. Es folgt wieder diese Vielzahl routinierter Handbewegungen, zwischendurch passiert ein Blick in meine Richtung, und ich merke, dass Calvin darauf wartet, dass ich etwas sage.
»Was würdest du mir denn empfehlen?« , frage ich.
»Ich glaube, es wäre für dich nicht schlecht, mal zu verreisen. Versteh mich bitte nicht falsch. Ich halte dein Denken nicht für eingeschränkt oder für uninspiriert. Du bist auf der Höhe deiner Zeit. Manchmal sogar deiner Zeit voraus. Und das liebe ich an dir, aber vielleicht ist es auch dein Problem. Vielleicht hattest du in den letzten Monaten alles zu sehr im Griff. Und jetzt kommt es mir so vor, als bedrücke dich der Alltag von CobyCounty. Klar, das mag paradox klingen, besonders im Frühling, aber manchmal braucht man neue Eindrücke, um die alten Eindrücke wieder wertschätzen zu können. Verstehst du in etwa, was ich meine?«
Der nächste Espresso steht bald vor mir. Ich schwitze, ich spüre meinen Puls, ich schaue in Calvin Van Persys strahlend grüne Augen und beginne zu nicken.
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Ich soll mich melden, sobald ich zurück bin, spätestens wenn sich der Frühling dem Ende zuneigt, wenn wieder viel zu tun sein wird in der Agentur. Außerdem soll ich lesen. Calvin Van Persy hat behauptet, dass es Texte gibt, die in der Lage seien, mich aufzulockern und anzuregen. Und sollte ich keinen finden, dann rät er mir, einfach selbst solche Texte zu schreiben, das helfe oft am allerbesten. Ich denke, dass er wirklich ein kluger Mann ist, dieser Van Persy. Aus den wenigen Eindrücken, die er in den letzten Wochen von mir sammeln konnte, scheint er vieles herausgelesen zu haben, und nun war er sogar in der Lage, es direkt zu benennen. Vielleicht ist nicht alles wahr, was er sagt, doch geschickt formuliert ist es in jedem Fall.
Draußen scheint die Sonne und es weht ein warmer Wind, der ständig seine Richtung wechselt. Ein paarmal atme ich tief durch und rieche verschiedene Sachen, zum Beispiel Croissants und im nächsten Moment die Blumenbeete am Straßenrand. Ich nehme mir vor, auf möglichst direktem Weg nach Hause zu gehen, auf keinen Fall mit der Tram zu fahren. Zu Fuß komme ich an meinem liebsten Fischrestaurant vorbei, wo sich immer montags ein paar verstreute Buddhisten treffen, um stillschweigend und selbstgerecht am größten Tisch zu sitzen. Zuletzt war ich mit Tom O’Brian und meiner Mutter in diesem Restaurant, es dürfte erst fünf Wochen her sein, es fühlt sich aber an, als wäre es vor Monaten gewesen. Wir haben damals Pangasiusfilet an Salzkartoffeln bestellt und über den nahenden fünfundsechzigsten Geburtstag meiner Mutter diskutiert. Tom O’Brian hat vorgeschlagen, dass es doch nett wäre, wenn ich an der Bar arbeiten würde, und für einige Momente habe ich ihn deshalb dann nicht mehr leiden können, was sich aber bis zum Nachtisch relativierte.
An einer großen Kreuzung fahren mehrere Familienvans vorüber, ein zu schneller Linienbus, zudem touristische Cabriolets,
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