Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Randt
Vom Netzwerk:
die vermutlich mit dem Autozug nach CobyCounty gebracht wurden, um ihre Motoren zu schonen. Es ist richtig laut an der Kreuzung. Neben mir taucht ein älterer Jogger auf, der konstant vor sich hin wippt, um nicht aus dem Rhythmus zu kommen. Er trägt einen Vollbart, ist komplett weiß gekleidet und scheint vor Anstrengung zu dampfen. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich, dass es sich bei diesem hoch motivierten Jogger um meinen Dad handelt.
    Wir setzen uns in das Fischrestaurant und bestellen Apfelsaftschorlen. Mein Dad trocknet sich das verschwitzte Gesicht an seinem weißen Frotteehandtuch ab, das er eitel um den Hals trägt. Sein Bart hat im Skypefenster noch weit weniger dicht ausgesehen.
    »Mir fällt in dem neuen Apartment gerade die Decke auf den Kopf. Aber das wird sich wahrscheinlich bald legen. Spätestens, wenn die Innenarchitekten ihren Job gemacht haben.«
    »Das klingt doch gut« , sage ich.
    »Ja, ja, wir haben ja auch Zeit. Hauptsache, es gefällt am Ende. Wann kommst du uns mal besuchen?«
    »Am besten dann, wenn alles fertig ist, oder?«
    »Das ist ja bald! Der pessimistischsten Prognose nach in zwei Wochen. Vielleicht mache ich dann auch ein Fest.« Mein Dad spielt für einen Moment an dem Handtuch um seinen Hals herum: »Ach was! Ich mache auf jeden Fall ein Fest!«
    Dann lacht er und ich lache auch, denn sein Lachen wirkt ansteckend, auf diese leicht anbiedernde Art, die ich schon früh mit meinem Dad assoziiert habe.
    Als wir mit dem Lachen fertig sind, beginnt er mir von seinem neuen Glück zu berichten: »Natürlich will ich nicht behaupten, dass wir füreinander gemacht sind. Solche Formulierungen sind hohl und unsinnig. Aber diese Emotion hat sich ganz irrational eingestellt. Vielleicht weil einfach mal alles zusammenpasst.«
    »Wie lange liebt ihr euch denn schon?« , frage ich und klinge nicht ganz ernst dabei.
    »Seit dem ersten Tag!« Mein Dad lacht schon wieder. »Und der ist jetzt hundertdreizehn Tage her.«
    »Wow.«
    »Ja: Wow! So schnell vergeht die Zeit!« Er trinkt beherzt aus seiner Apfelsaftschorle, die zwei Züge später leer ist. »Möchtest du auch noch eine?«
    »Nein, danke. Ich war ja eben nicht joggen.«
    »Jedenfalls musst du Cassandra kennenlernen. Sie ist fantastisch. Und ich gönne ihr so sehr, dass sie jetzt in CobyCounty lebt. Sie hat sich diesen Schritt nie zugetraut. Da musste schon erst mal Mister Endersson auftauchen …«
    Nun posiert mein Dad, indem er mit beiden Händen nach seinem Frotteehandtuch greift und es sich noch einmal neu um den Hals wirft. Diese Geste scheint er nicht bewusst auszustellen, sie wirkt eher wie ein Versehen, was sie aber natürlich nicht harmloser macht.
    »Was macht Cassandra so?«
    »Du meinst beruflich?«
    Ich hebe die Schultern. Eigentlich will ich vielleicht wissen, was diese Frau ausmacht, über was sie sich definiert. Aber so eine Frage würde ich niemals stellen, vor allem heute nicht.
    »Sie hat ein paar Jahre lang Kinderbücher illustriert. Aber jetzt hat sie das Fach gewechselt. Sie schreibt ihren ersten Roman. Du musst sie auf jeden Fall kennenlernen, Wim. Sie hat einen ganz eigenständigen Ton. Gib ihr zwei Absätze und sie hat dich …«
    Spätestens in diesem Moment, als Dad anfängt, mir Details zu dem Romanprojekt seiner vierunddreißigjährigen Cassandra zu pitchen, spüre ich eine innere Härte ihm gegenüber. Er redet weiter, aber ich höre gar nicht zu, sondern denke darüber nach, was ich jetzt zum Beispiel gerne sagen würde: ›Das klingt auf jeden Fall seicht.‹ ›Mit vierunddreißig sollte man nicht mehr anfangen zu schreiben.‹ ›Sie hat sich nie getraut, nach CobyCounty zu ziehen, weil sie hier einfach nichts verloren hat.‹ ›Du könntest würdevoller aussehen, Dad.‹ ›Und Cassandra: das ist ein schrecklicher Name.‹
    Als mein Dad fertig gesprochen hat, sage ich: »Das klingt recht interessant. Ich freue mich, sie bald kennenzulernen.«
    Er bezahlt alle drei Apfelsaftschorlen und hinterlässt ein großzügiges Trinkgeld. Vielleicht weiß er, dass ich nicht ganz ehrlich zu ihm bin. Insgeheim hoffe ich das wohl.
    Draußen, vor der gläsernen Eingangstür des Fischrestaurants, sagt mein Dad, dass er mich besser nicht umarmt, weil er noch immer sehr verschwitzt sei. Also geben wir uns die Hand und ich sage, dass es eine Weile dauern könne, bis wir uns wiedersehen. Er versteht nicht ganz, doch bevor er nachfragen kann, lenke ich ein: »Ich meinte das als Gag. Weil die Innenarchitekten vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher