Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
länger brauchen werden, als du glaubst …«
»Denen mache ich jetzt bald Druck, das kannst du mir glauben. Also nicht zu viel Druck. Ich bin ja kein Tyrann … Na ja. Ein bisschen tyrannisch bin ich vielleicht doch … Haha!« Dann wieder dieses Lachen, noch etwas kraftvoller als zuvor. Ich lache mit. »Wim. Ich schicke dir die Einladung per Mail!«
»Ich freue mich, Dad!«
Er ist der einzige Jogger weit und breit. Trotzdem sehen die umhergehenden Passanten eher noch sportlicher aus als er, und nicht nur weil sie jünger sind, sondern weil sie vielleicht noch etwas mehr auf sich achten. Viele tragen bereits Sonnenbrillen, haben aber noch ziemlich blasse Gesichter. Dort, wo sie herkommen, ist es ja teils noch Winter, aber hier können sie die Ärmel ihrer gut geschnittenen Hemden bereits aufkrempeln. Mitunter frage ich mich, wie sehr sich das Alltagsleben dieser Freiberufler in den westlichen Metropolen von dem Leben unterscheidet, das sie in ihren Tagen in CobyCounty führen. Hier verbringen sie sicher mehr Zeit am Strand als zu Hause, auch mehr Zeit in Restaurants und Bars, auf Vernissagen und Konzerten, so wie auch ich mehr Zeit auf derartigen Events verbringe, wenn Frühling ist. Es ist davon auszugehen, dass auch diese Freiberufler ihren Alltag primär vor Laptops verbringen, still dasitzend und auf irgendeine Weise lesend. Im Grunde vergehen so vielleicht die allermeisten Tage, man sitzt vor Texten und Bildern, man redet und tippt. Hinzu kommen Schlaf und Ernährung und bei einigen noch Sport und Erotik, aber das bleibt ja auch beides eng an Texte und Bilder gekoppelt. Manchmal erstaunt es mich, dass mein vom Dasitzen und Lesen dominierter Alltag trotzdem ständig Risiken bereithält. Jede Entscheidung kann falsch sein, jede Formulierung gefährlich, jede E-Mail verletzend. In den seltenen Augenblicken, in denen mir das schlaglichtartig bewusst wird, komme ich mir handlungsunfähig vor. Aber dann handle ich meistens trotzdem, indem ich weiter auf den Bildschirm blicke und lese und irgendwann Grußformeln und Sätze eintippe. Zu dieser Art von Aktion bin ich bislang immer fähig geblieben, selbst wenn mir Sprechen schon unmöglich erschien.
13 ↵
Am späten Nachmittag treffe ich Magnusson in einer Suppenbar auf der Promenade. Der Raum ist so überfüllt, dass am Eingang aparte Mädchen stehen müssen, um zu entscheiden, wer eintreten darf und wer nicht. Glücklicherweise kenne ich diese Mädchen aus meiner Zeit an der School of Arts and Economics, umarme sie zur Begrüßung und bestelle drinnen dann eine Minestrone sowie ein englisches Bier. Um die Stehtische gibt es überhaupt keinen Platz mehr, ein paar Skandinavierinnen wanken schon, draußen blendet die tief stehende Sonne. Magnusson sind seine bisherigen Biere offenbar als rote Hitze ins Gesicht gestiegen. Er begrüßt mich enorm motiviert, drückt sich mit beiden Armen an mich und ist voller Dank: Zuerst bedankt er sich für das Klassentreffen in Tom O’Brians Hotelturm und dann dafür, dass ich seine Musik gespielt habe.
»Das hab ich gern gemacht. Die Musik kam ja auch gut an.«
»Aber wenn du ehrlich bist, findest du sie eher nicht so gut …«
»Das kommt auf den Kontext an. In dem Kontext unseres Klassentreffens im Konferenzraum haben mir deine Tracks gut gefallen.«
Magnusson sieht mir an, dass ich ernst meine, was ich gerade sage, er kriegt einen verklärten Blick und prostet mir zu: »Du bist echt in Ordnung, Wim. Früher habe ich gedacht, dass du immer nur mit dir selbst beschäftigt bist, aber du kriegst eigentlich doch total viel mit.« Ich führe einen Löffel Minestrone zum Mund: »Danke.« Dann kaue ich auf dem gegarten Gemüse und Magnusson schaut durch den Raum: »Du bist doch jetzt auch Single, oder?« Als ich mit vollem Mund nicke, hebt Magnusson seine Hand, um bei mir einzuschlagen, und in diesem Moment kommt er mir wahnsinnig alt vor. Nach kurzem Zögern schlage ich dann aber doch bei ihm ein und Magnusson kündigt an, dass er zwei neue Biere holen geht, dabei sind unsere Gläser beide noch relativ voll.
So geht das eine ganze Weile. Wir sprechen mit verschiedenen Mädchen, einige scheinen aus den Beneluxstaaten zu stammen, andere aus Großbritannien, dazu all diese Skandinavierinnen, es ist ein europäisch dominierter Abend. Magnusson stellt sich meist als Musikproduzent vor, was ich als peinlich empfinde, aber ich lasse ihn das keinesfalls spüren, sondern nenne meinerseits Autoren, die ich vertrete oder bis vor kurzem
Weitere Kostenlose Bücher