Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
Touristen?«
»Nein« , sage ich, »ich bin in CobyCounty geboren.«
Der Uniformierte nickt und richtet seine Lampe dann auf Sara, von der ich vermute, dass sie bald Schluckauf bekommt: »Und du?«
Mit einem Mal kommt mir der Uniformierte völlig unverschämt vor. »Melbourne« , sagt Sara. Der Mann nickt und senkt die Taschenlampe. Dann öffnet er die Tür unter dem Notausgangsschild und sagt: »Es kostet acht pro Person.« Sara bedankt sich und bezahlt für uns beide.
Wir gehen durch einen dunklen, akustisch abgeschirmten Gang, der neben einem Fachgeschäft für Laufschuhe inmitten der Passage endet. Ich blicke mich um und kann ungefähr erahnen, wo sich der Brunnen befindet, an dem ich Wesley zum letzten Mal gesehen habe. Für alles Weitere ist es eigentlich zu dunkel. Irgendwoher kommt Musik.
Zuerst wirkt diese Veranstaltung in der Passage wie eine relativ normale Frühlingsparty auf mich, nur dass eben weniger Licht brennt und die Musik leiser abgespielt wird. Etwas später jedoch, als mir Sara ein scharfes Mischgetränk reicht, fällt mir auf, wie unrein die Haut einiger Gäste ist. Ich sehe das, weil einige von ihnen aufdringlich dicht an mir vorbeigehen. Die meisten hier sind sicher Touristen, die über soziale Netzwerke von dieser Party erfahren haben, vielleicht schon bevor sie in die Ferien nach CobyCounty aufgebrochen sind. Ihre Attitüde erscheint mir etwas destruktiv. Viele stehen offensichtlich unter dem Einfluss wenig exklusiver Rauschmittel, andere scheinen diesen Einfluss akut zu suchen, und die allermeisten bewegen sich unkollegial durch die Passage. Wobei diese Unkollegialität natürlich eine Folge der wenig exklusiven Rauschmittel sein kann. Beim Blick hinauf durch das Milchglas ist der unscharfe Mond als schmaler Streifen zu erkennen.
Sara und ich gehen eine Weile nebeneinanderher und trinken. Bald verlieren wir uns jedoch, vermutlich weil ich so unaufmerksam ihr gegenüber bin, weil ich immer tiefer in diese diffuse Nachdenklichkeit gerate, die vermutlich alkohol- und müdigkeitsbedingt ist. Als ich bemerke, dass Sara verschwunden ist, bleibe ich einmal stehen und schaue mich nach ihr um. Ich kann nicht einschätzen, seit wann sie verschwunden ist, auch nicht, ob sie sich vielleicht absichtlich davongestohlen hat. Überall herrscht dieses unvorteilhafte, bläuliche Licht. Ich halte mich nicht lange mit den Fragen zu Sara auf, schließlich hatten wir unsere Momente, wir werden sie zwar vergessen, aber wir hatten sie, so viel steht fest.
Vielleicht ist das nicht immer fair, was ich über Mädchen denke. Diese Sara war ja eigentlich wirklich nett, trotzdem möchte ich ihr lieber nicht mehr begegnen. Und diese Cassandra kenne ich ja zum Beispiel noch gar nicht, trotzdem halte ich sie schon für dümmlich. Dabei wird ihr Name wohl nicht ihr eigener Fehler gewesen sein, es war sicher der Fehler ihrer Eltern, aber das ist ja eigentlich auch schon schlimm genug. Das scharfe Mischgetränk in meiner Hand ist bald leer. Ich stelle mich vor einen der Tische, hinter denen Kühlschränke aufgebaut sind. Es gibt anscheinend nur dieses eine Getränk zu kaufen. Zwischen den Tischen und Kühlschränken stehen junge Frauen, die Bargeld oder Kreditkarten entgegennehmen und dann die Becher auf den Tisch vor die Kunden stellen. Die Frau, die mir meinen neuen Becher servieren soll, wirkt etwas älter als die anderen. Ihr Gesicht kommt mir kurz bekannt vor, dann wieder nicht. Als wir uns anschauen und ich ihr meine Kreditkarte reichen möchte, ändert sich plötzlich ihr Blick:
»Hey. Du bist Wim, oder?«
»Ja …«
»Wir kennen uns aus dem O’Brian-Hotel!«
»… Pia?«
Pia sagt, dass ich nicht bezahlen müsse, sie reicht mir den Becher an und lächelt und ihr Gesicht legt sich in Falten. Sie ergänzt, dass sie in dreißig Minuten frei haben werde und dass wir uns dann unterhalten könnten.
Es geht mir nicht besonders gut nach dem zweiten Becher, ich gehe bereits jetzt fest davon aus, dass ich mich am nächsten Vormittag übergeben werde. Ich setze mich auf eine Treppenstufe vor einem Damenschuhgeschäft, das es zu der Zeit, als meine Mutter hier einkaufen ging, noch gar nicht gab. Die Schuhe sind nur als Umrisse zu erkennen. Wenn ich mein Gesicht an das Schaufensterglas lehne, dann kommt es mir vor, als würde ich ganz allein in der abgedunkelten Passage sitzen. Ich weiche vor dem Anblick der schwarzen Damenschuhsilhouetten zurück, und plötzlich sitzt Pia schon neben mir. Sie hat mir einen weiteren
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