Schindlers Liste
werde die der Einwohner übersteigen und sich als echtes Krebsgeschwür entpuppen. Damit hatte der Kreisleiter selbstverständlich keinen Erfolg, denn sein Schreiben landete auf dem Tisch von Oberst Lange. In Troppau wehrte der aufrechte Süßmuth alle Einwände ab. Immerhin konnte man in Zwittau Plakate mit der Inschrift HALTET DIE VERBRECHERISCHEN JUDEN FERN lesen.
Und Schindler zahlte. Er bestach die Evakuierungsbehörde in Krakau, um seine Maschinen schneller abtransportieren zu können. Die Wirtschaftsbehörden in Krakau mußten seinen Geldtransfer genehmigen. Weil jetzt niemand mehr Geld wollte, zahlte er in Waren - Tee, Lederschuhen, Teppichen, Kaffee, Dosenfisch. Die Nachmittage verbrachte er in den Seitengassen des Marktplatzes, um zu beschaffen, wonach diesen Bürokraten der Mund wässerte. Tat er es nicht, würden sie ihn warten lassen, bis der letzte Jude in Auschwitz vergast worden war, daran zweifelte er nicht. Von Süßmuth hörte er, daß aus Zwittau bei der Rüstungsinspektion Denunziationen gegen ihn eingingen - er sei in Schwarzmarktgeschäfte verwickelt. »Und wenn die an mich schreiben, können Sie darauf wetten, daß sie auch an Obersturmführer Rasch schreiben, den Polizeichef von Mähren. Machen Sie sich lieber schnell mit dem bekannt, damit er sieht, was für ein reizender Mensch Sie sind.«
Schindler kannte Rasch schon, als dieser höherer SS-Führer von Kattowitz war, überdies war er zum Glück mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Ferrum AG in Sosnowiec befreundet, von dem Schindler seinen Stahl bezog. Aber Schindler, der sich sogleich nach Brunn aufmachte, um den Denunzianten das Wasser abzugraben, verließ sich nicht auf etwas so Zerbrechliches wie eine alte Bekanntschaft. Er hatte einen Brillanten bei sich, der während des Gespräches irgendwie seinen Weg in Raschs Tasche fand, und damit hatte Schindler seinen Frontabschnitt Brunn stabilisiert.
Der Umzug nach Brünnlitz kostete ihn nach seiner eigenen Schätzung runde 100 Reichsmark. Von den Überlebenden zweifelte niemand daran, daß dieser Betrag ausgegeben wurde, einige allerdings meinen, es sei mehr gewesen, »sehr viel mehr!«
Schindler hatte eine vorläufige Namensliste aufgestellt und sie der Lagerverwaltung übergeben. Es standen mehr als tausend Namen auf dieser Liste, die seiner ehemaligen Emalia-Leute und noch neue dazu. Auch Helene Hirsch stand darauf, und Göth war nicht mehr da, um Einspruch zu erheben. Und die Liste würde noch erheblich mehr Namen aufweisen, falls nur Madritsch sich bereit fand, ebenfalls nach Mähren zu evakuieren. Also bearbeitete Schindler jenen Titsch, der bei Madritsch Gehör hatte. Diejenigen von Madritschs Juden, die die engsten Beziehungen zu Titsch hatten, wußten, daß es die Liste gab und auch die Möglichkeit, noch drauf zu kommen. Titsch drängte sie, sich darum zu bemühen. In Plaszow gab es haufenweise Listen für alle möglichen Zwecke, nur waren die wenigen Blätter, aus denen Schindlers Liste bestand, die einzigen, die so etwas wie einen Fahrschein in die Zukunft darstellten.
Madritsch konnte sich immer noch nicht entscheiden, ob er ein Bündnis mit Schindler schließen, ob er seine 3000 Juden ebenfalls noch der Liste beifügen sollte.
Schindlers Liste ist, was die Chronologie betrifft, in der die Namen notiert wurden, in so etwas wie einen Schleier gehüllt, was der Legendenbildung nur förderlich ist. Nicht die Tatsache des Vorhandenseins dieser Liste als solcher — in den Archiven von Jad Wa-Schem kann eine Kopie jederzeit besichtigt werden. Auch herrschte keine Ungewißheit im Hinblick auf die Namen, die Titsch und Schindler im buchstäblich letzten Moment der Liste noch anfügten. Die Namen stehen fest, aber die Umstände, unter denen sie auf die Liste kamen, sind, wie gesagt, der Legendenbildung förderlich. Das Problem liegt darin, daß die Überlebenden sich mit einer Leidenschaft an diese Liste erinnern, die die Umrisse verschwimmen läßt. Die Liste ist das verkörperte Gute. Die Liste ist das Leben. Jenseits ihrer zerknitterten Ränder liegt das Nichts.
Es heißt, in Göths Villa habe ein Treffen stattgefunden, bei dem die Herren von der SS und die Unternehmer die schönen Tage ihrer profitablen Zusammenarbeit feierten. Manche behaupten sogar, Göth sei selber dabeigewesen, doch ist das nicht möglich — die SS pflegte ihre Häftlinge nicht zu beurlauben. Andere wieder glauben, dieses Treffen habe in Schindlers Privatwohnung in der Emalia stattgefunden. Dort gab er
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