Schindlers Liste
Erlaubnis des Lagerkommandanten haben.« Anita Lampel hörte verblüfft, wie Schindler dieser Frau, die befürchtete, er habe die Namensliste manipuliert und könnte dafür zur Rechenschaft gezogen werden, erwiderte, gerade jemand mit schmalen, langen Fingern wie Anita Lampel sei für ihn besonders wertvoll. Dabei sah er sie bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal. Jetzt war sie selber in Auschwitz, aber unterdessen schlank und groß und einer solchen Ausrede nicht mehr bedürftig. Schindler benutzte sie nun also für die Kinder Horowitz und Rath.
Daß die Frauen als Arbeitskräfte nicht mehr taugten, traf durchaus zu. Mila Pfefferberg, Helene Hirsch und deren Schwester konnten ebensowenig wie die anderen die Inspektoren darüber täuschen, daß sie schwer an Ruhr erkrankt waren. Frau Dresner aß nichts mehr, und Danka konnte ihrer Mutter nicht mehr die jämmerliche Wassersuppe einflößen. Was nur bedeutete, daß man sie bald zu den Muselmännern rechnen würde, wie jene Gefangenen genannt wurden, die sich aufgegeben hatten.
Clara Sternberg, damals Anfang Vierzig, war von den Schindlerfrauen getrennt worden und lebte unter den Frauen, die beim morgendlichen Appell von einem oder mehreren der Ärzte ausgesondert wurden. Manchmal wurden hundert weggeschickt, manchmal fünfzig. Frau Sternberg war nun am Ende ihrer Kräfte. Ihr Mann und ihr Sohn waren in Brünnlitz und für sie unerreichbar. Sie konnte sich dieses Brünnlitz ohnehin nicht vorstellen. So taumelte sie durch das Frauenlager auf der Suche nach dem elektrifizierten Zaun. Anfangs hatte sie den überall zu sehen geglaubt, jetzt, da sie hin wollte, konnte sie ihn nicht finden. Zwischen den Baracken umherirrend, stieß sie auf eine Bekannte aus Krakau und fragte die nach dem Zaun.
Sie dachte sich nichts dabei, fand diese Frage durchaus vernünftig und bezweifelte nicht, daß sie die gewünschte Auskunft erhalten würde. Doch die Gefragte lehnte ab: »Lauf nicht in den Zaun, Clara, sonst wirst du nie wissen, was dir geschehen ist.« Die beste Antwort, die man jemandem geben kann, der auf Selbstmord versessen ist: Wenn du dich umbringst, wirst du nie erfahren, wie das Stück endet, und doch geboten diese Worte ihr Einhalt. Sie kehrte um.
In der Baracke war ihr keineswegs wohler als zuvor, doch Selbstmord erschien ihr nach diesem kurzen Wortwechsel kein geeigneter Ausweg mehr.
In Brünnlitz war unterdessen etwas Furchtbares passiert, und natürlich in Abwesenheit Schindlers, der in Geschäften unterwegs war, mit Küchenutensilien, Diamanten, Schnaps und Zigarren handelte, Drogen und medizinische Instrumente einkaufte, die er entweder aus Wehrmachtsbeständen oder in den Lazarettapotheken bekam.
Er war also nicht da, als ein Inspektor aus Groß-Rosen kam und zusammen mit dem Lagerkommandanten Leipold den Betrieb besichtigte. Leipold nahm jede Gelegenheit wahr, sich hier sehen zu lassen. Der Inspektor hatte Befehl aus Oranienburg, in Groß-Rosen und seinen Nebenlagern alle männlichen Kinder auszusondern und sie Mengele nach Auschwitz zu schicken, der an ihnen experimentieren wollte. Olek Rosner und Richard Horowitz wurden nichtsahnend beim Spielen erwischt, ferner der Sohn von Dr. Leon Gross, der Hauptsturmführer Göths Diabetes behandelt, mit dem Lagerarzt Dr. Blancke die Häftlinge selektiert und auch noch anderes auf dem Gewissen hatte. Der Inspektor meinte, diese kleine Brut könne man wohl kaum als Rüstungsarbeiter bezeichnen, und Leipold stimmte ihm darin ohne weiteres zu. Als nächster wurde der neunjährige Sohn von Roman Ginter entdeckt.
Ginter kannte Schindler seit Gründung des Gettos und pflegte bei ihm den Schrott zu besorgen, der im Lager Plaszow für die Herstellung von Schaufeln benötigt wurde. Das nützte ihm selbstverständlich nicht das geringste. Sein Sohn wurde zu den anderen Kindern gebracht. Der zehneinhalb jährige Junge von Frances Spira, schon ziemlich groß und in der Lagerkartei als Vierzehnjähriger geführt, stand auf einer langen Leiter und putzte Fenster; so entging er dieser Aktion.
Es war befohlen worden, die Kinder gemeinsam mit den Eltern nach Auschwitz zu bringen, um Verzweiflungstaten der Eltern vorzubeugen. Daher mußten auch der Geiger Rosner, Horowitz und Roman Ginter mit. Dr. Gross kam aus der Krankenstube gerannt und verlegte sich aufs Verhandeln, er wollte beweisen, ein wie nützliches Mitglied des Systems er sei, doch auch ihm half das nichts; ein Unterscharführer bekam den Auftrag, sie allesamt nach Auschwitz
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