Schindlers Liste
den üblichen aus achtzehn Strängen Stacheldraht. Der Zwischenraum zwischen den Drähten betrug etwa dreißig Zentimenter, aber es ist bezeugt und kann auch gar nicht anders sein, daß die beiden Frauen sich durch den Zaun zwängten, und mit kaum noch einem Fetzen am Leibe, zerkratzt und blutend zu den übrigen Schindlerfrauen stießen. Niemand behinderte sie dabei, niemand hielt so etwas für möglich, und im übrigen wäre es ja auch für alle anderen Gefangenen ganz unsinnig gewesen, so etwas zu tun, denn man gelangte nur von einem Zaun zum nächsten und stand am Ende vor dem stromführenden Außenzaun. Ein Fluchtweg war dies also nicht. Für Frau Sternberg und Frau Krumholz allerdings war der Zaun das einzige Hindernis, das sie überwinden mußten, und sie schafften es.
Frau Korn, die mit ihren vierundvierzig Jahren in eine Krankenbaracke eingewiesen worden war, wurde von ihrer Tochter durchs Fenster ins Freie gezerrt und stand nun, von dieser gestützt, ebenfalls inmitten der Schindlerfrauen, die sich allesamt wie neugeboren fühlten und sich gegenseitig beglückwünschten.
Sie wurden nun in den Baderaum geführt und von Lettinnen rasiert - Kopf-, Achsel-und Schamhaar. Dann gingen sie nackt in die Kleiderkammer und bekamen Sachen von Vergasten hingeworfen. Mit ihren geschorenen Köpfen, ausstaffiert mit Kleidung, die für die meisten viel zu groß war, denn sie waren fast zu Skeletten abgemagert, schauten sie einander an und mußten über den Anblick lachen. »Was will Schindler bloß mit all den alten Weibern?« fragte eine SS-Aufseherin eine Kollegin.»Was geht uns das an, von mir aus soll er ein Altersheim aufmachen!« Einerlei, was man erwartete, das Einsteigen in die Viehwagen war immer ein schlimmes Erlebnis. Selbst bei kaltem Wetter war es, als müsse man ersticken, und durch die Dunkelheit wurde die Angst noch verstärkt. Die Kinder drängten sich gleich an Ritzen, durch die etwas Licht einfiel, und Niusia Horowitz gelang es, einen Platz zu finden, wo ein Brett gesplittert war, was ihr die Möglichkeit gab hinauszuschauen. Sie sah vor sich den Bahndamm und dahinter den Zaun des Männerlagers. Dort standen Kinder und winkten.
Eines sah ihrem Bruder Richard sonderbar ähnlich, und daneben stand ein Junge, der Olek Rosner zum Verwechseln glich. Und dann begriff sie, das waren ja Richard und Olek!
Sie zog ihre Mutter an die Ritze. Sie erkannte die Kinder ebenfalls und begann, laut zu weinen. Die Waggontür war bereits geschlossen, die Frauen standen dicht gedrängt, und jede Regung, sei es Trauer, sei es Hoffnung, teilte sich den anderen mit. Die begannen nun ebenfalls laut zu weinen. Manci Rosner drängte ihre Schwägerin von der Ritze weg, schaute hinaus, erkannte ihren Sohn und schluchzte um so verzweifelter.
Die Tür wurde aufgerollt, und ein stämmiger Unterführer fragte barsch, was denn das Geheul bedeuten solle. Frau Rosner und Frau Horowitz drängten sich zur Tür durch und schluchzten:
»Da drüben stehen unsere Kinder, die sollen wenigstens sehen, daß wir noch leben.«
Der Mann ließ sie auf die Rampe springen, den Frauen wurde unheimlich zumute. »Eure Namen?« Und als sie ihre Namen genannt hatten, griff er in die Hosentasche. Die Frauen erwarteten, daß er eine Pistole ziehen würde, doch übergab er jeder einen Brief von ihrem Mann. Dabei sagte er, er habe die beiden von Brünnlitz hierhergebracht und die Kinder auch.
Frau Rosner bat, er möge sie unter den Waggon kriechen lassen, wo sie tun wollten, als müßten sie urinieren. Er erlaubte es. Kaum hockte Frau Rosner unter dem Waggon zwischen den Schienen, stieß sie den durchdringenden Rosnerpfiff aus, mit dem sie auf dem Appellplatz von Plaszow Olek und ihren Mann auf sich aufmerksam zu machen pflegte, und Olek erspähte sie zwischen den Rädern des Waggons und winkte. Er zeigte Richard den Platz, an dem dessen Mutter hockte.
Olek deutete auf die in seinem Unterarm tätowierte Nummer, und Richard tat es ihm nach.
Die Frauen winkten zurück, sie begriffen, daß die Kleinen dank dieser Nummer immer noch eine Überlebenschance hatten, andererseits verstanden sie überhaupt nicht, weshalb die Kinder in Auschwitz waren.
»Wo ist dein Vater?« schrie Frau Rosner ihrem Sohn zu.
»Auf Arbeit. Ich habe ihm ein paar Kartoffeln aufgehoben! « Und er öffnete die Faust und zeigte auf drei kleine Kartoffeln. Der Geiger Rosner und Dolek arbeiteten im Steinbruch, erfuhren die Frauen nun, würden aber bald zurückkommen.
Rosner tauchte als
Weitere Kostenlose Bücher