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Schindlers Liste

Schindlers Liste

Titel: Schindlers Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Keneally
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erster auf. Auch er hob den linken Arm, um zu zeigen, daß da eine Nummer eintätowiert war. Seine Frau sah, daß er erschöpft war, vor Kälte zitterte und zugleich schwitzte. In Plaszow war das Leben auch nicht leicht gewesen, doch wenn er abends bei Göth aufgespielt hatte, durfte er tagsüber in der Malerwerkstatt schlafen. In der Kapelle, die hier gelegentlich den Opfern auf dem Weg in die Gaskammer aufspielte, war kein Platz für Rosner.
    Dann wurde Dolek von seinem Sohn Richard an den Zaun geführt und sah die beiden hageren Frauen unter dem Waggon hocken. Er und Rosner fürchteten jetzt, die Frauen könnten um Erlaubnis bitten, ebenfalls zu bleiben, doch was hätte das genützt?
    Zu ihren Kindern ins Männerlager hätte man sie auf keinen Fall gelassen, Familienzusammenführungen fanden in Birkenau nicht statt, und ihre einzige Hoffnung war der Zug, unter dem sie jetzt kauerten. Die Männer drängten sie, wieder einzusteigen, trugen ihnen Grüße auf, behaupteten, es sei alles gar nicht so schlimm, und endlich ging im Männerlager die Sirene, und Väter und Söhne mußten weg vom Zaun. Das war wie eine Erlösung. Die beiden Frauen kletterten wieder in den Waggon, wortlos.
    Der Zug setzte sich am Nachmittag in Bewegung, und schon wurden die üblichen Spekulationen angestellt. Mila Pfefferberg meinte, die Hälfte der Frauen werde nicht überleben, falls man nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht in Schindlers Lager käme. Sie selber gab sich nur noch einige Tage. Lusia war an Scharlach erkrankt. Frau Dresner wurde, so gut es ging, von ihrer Tochter Danka betreut, litt aber furchtbar an der Ruhr und schien im Sterben zu liegen. Durch den Spalt in Niusias Wagen erblickten die Frauen Berge und Fichtenwälder, für manche ein bekannter Anblick aus Ferientagen vor dem Krieg, und selbst unter diesen Umständen ließ sie sie aufleben. »Wir sind bald da«, sagten sie zu den anderen, die dumpf auf den Boden starrten. Ja, aber wo? Noch eines der üblichen Lager würden sie alle nicht überleben.
    In der kalten Morgenfrühe des folgenden Tages stiegen sie aus. Irgendwo im Frühdunst zischte die Lokomotive. Eiszapfen hingen an der Unterseite der Waggons, und die Luft war schneidend. Aber es war nicht die dumpfe, stechende Luft über Auschwitz.
    Der Zug hielt auf einem kleinen Nebengleis mitten in der Landschaft. Sie marschierten los in ihren schweren Holzschuhen, durchfroren und hustend. Bald erblickten sie ein großes Lagertor und dahinter einen wuchtigen Ziegelbau und hohe Schornsteine, die nur allzusehr denen ähnelten, die sie von Auschwitz her kannten. Am Tor standen SS-Männer. Alles kam ihnen vertraut vor. »Jetzt jagen sie uns hier durch den Schornstein «, schluchzte die Frau neben Mila Pfefferberg. »Ach wo «, widersprach Mila, » das hätten sie in Auschwitz einfacher haben können.« Woher sie diesen Optimismus nahm, hätte sie selber nicht sagen können. Im Näherkommen erkannte sie Schindler zwischen den SS-Männern.
    Sie erkannte ihn an seiner mächtigen Gestalt, dann machten sie sein Gesicht aus unter dem Tirolerhut, den er zur Feier seiner Rückkehr ins Gebirge wieder trug. Neben ihm stand ein kleinerer SS-Führer, der Lagerkommandant Leipold. Schindler hatte bereits bemerkt—und die Frauen sollten es bald genug ebenfalls bemerken -, daß Leipold immer noch an die Endlösung glaubte. Doch obwohl er hier der Stellvertreter von Sturmbannführer Hassebroeck war und die Autorität der SS im Lager verkörperte, war es Schindler, der nun vortrat und den Frauen entgegenging.
    Sie starrten ihn an - eine Erscheinung im Frühnebel. Mila Pfefferberg und andere erinnern sich auch heute noch daran, was sie in jenem Moment empfanden — unaussprechliche Dankbarkeit und Erleichterung. Eine dieser Frauen hat es Jahre später vor einer deutschen Fernsehkamera zu erklären versucht: »Er war Vater und Mutter für uns. Wir glaubten an ihn, und er hat uns niemals im Stich gelassen.«
    Dann redete Schindler sie an, und wieder machte er ihnen ganz unglaubliche Hoffnungen:
    »Wir wußten, daß ihr unterwegs seid, Zwittau hat angerufen. Geht rein, Suppe und Brot warten schon auf euch.« Und er setzte hinzu: »Ihr habt nichts mehr zu befürchten, ihr seid jetzt in meiner Obhut.«
    Man sah, daß der Lagerkommandant sich über diese kurze Ansprache ärgerte, aber Schindler beachtete das gar nicht, sondern geleitete seine Gefangenen in ihre Unterkunft.
    Aus dem Oberstock beobachteten die Männer die Ankunft der Frauen. Sternberg

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