Schindlers Liste
Schindler, wir holen Sie hier raus«, beteuerte Scherner.
Und am Morgen des achten Tages stand Schindler auf der Straße. Er trödelte hier nicht herum, verlangte diesmal auch nicht, daß man ihn mit dem Wagen zum Bahnhof fahre, sondern fuhr mit der Straßenbahn in seine alte Fabrik nach Zablocie. Hier hüteten noch etliche polnische Arbeiter das Haus, und er telefonierte aus seinem alten Büro mit seiner Frau. Er sei frei, sagte er.
Der Zeichner Bejski erinnerte sich, daß während Schindlers Abwesenheit in Brünnlitz wilde Gerüchte umgingen und großes Durcheinander geherrscht haben soll, doch Stern und Finder, Garde und andere berieten sich laufend mit Frau Schindler, teilten die Arbeit ein, sorgten für die Errichtung von Pritschen. Sie entdeckten als erste, daß Frau Schindler keine Mitläuferin war. Glücklich wirkte sie keinesfalls, und Schindlers Verhaftung machte ihr schwer zu schaffen, sie kam ja auch besonders ungelegen gerade zu diesen Zeitpunkt, als sie und ihr Mann so etwas wie einen neuen Anfang versuchten, aber Stern und den anderen wurde klar, daß sie ihre Anwesenheit in Brünnlitz keineswegs als pure Hausfrauenpflicht betrachtete.
Man durfte ruhig sagen, daß sie einen festen ideologischen Standpunkt bezogen hatte. In der Wohnung hing ein Bild Jesu mit dem flammenden Herzen, eins von der Art, das Stern in den Wohnungen vieler gläubiger Polen gesehen hatte, nicht aber in einer der Wohnungen von Schindler in Krakau.
Als Jude durfte man diesem flammenden Herzen, wenn man es in einer polnischen Wohnküche erblickte, nicht unbedingt trauen, aber in Frau Schindlers Wohnung wirkte es wie ein Versprechen, Frau Schindlers ganz persönliches Versprechen.
Anfang November traf ihr Mann mit dem Zug ein. Er war unrasiert und hatte in der Haft nicht baden können. Nun erfuhr er zu seiner Verblüffung, daß die Frauen immer noch in Auschwitz-Birkenau waren.
Auf dem Planeten Auschwitz, wo die Schindlerfrauen sich so behutsam und angstvoll bewegten wie nur je ein Raumfahrer, herrschte Rudolf Höß, Gründer, Erbauer und Verwalter seines Reiches. Als Lagerkommandant unterschied er sich sehr von Göth, ein gelassener, nüchterner Mensch von passablen Manieren und doch ein unerbittlicher Massenmörder.
In den zwanziger Jahren tötete er einen deutschen Lehrer, der einen Freikorpskämpfer angezeigt hatte, und verbüßte dafür eine Strafe; in Auschwitz hingegen ermordete er mit eigener Hand nicht einen einzigen Häftling. Er betrachtete sich ganz als Techniker. Als solcher plädierte er für Massenmord mittels Zyklon B, ein Blausäuregas, und setzte sich nach langen persönlichen und wissenschaftlichen Debatten gegen seinen Konkurrenten, den Kriminalkommissar Christian Wirth, durch, der die Juden durch Kohlenmonoxyd vergiften wollte, Abgase von Dieselmotoren, die in fahrbare Gaskammern eingeleitet wurden.
Wirth war besonders im Lager Belzec tätig und mußte abdanken, als mehrere SS-Führer, darunter Obersturmführer Kurt Gerstein, der Blausäureverteiler, einer Demonstration seiner Methode beiwohnten, die sich bei dieser Gelegenheit als unzweckmäßig erwies: mehr als drei Stunden vergingen, bis die in der Gaskammer eingesperrten Juden endlich tot waren. Die Methode Höß erhielt somit den Zuschlag, was sich allein schon daran ablesen ließ, daß Auschwitz immer größer wurde, während Belzec schrumpfte.
Ab Ende 1943 tat Höß in Oranienburg als stellvertretender Leiter der Amtsgruppe D Dienst, zu einer Zeit, da Auschwitz bereits mehr als eines der üblichen Lager war, es war ein durchorganisiertes Phänomen. Hier war die Moral nicht nur außer Kraft gesetzt, sie war förmlich umgekehrt worden; alles Böse dieser Welt schien hier die Entstehung von so etwas wie einem Schwarzen Loch bewirkt zu haben, das ganze Völkerschaften und Geschichten einsog und wo Wörter das Gegenteil dessen bedeuteten, was sie ausdrückten. Die Keller hießen Desinfektionsräume, die Gaskammern Bäder, und in diese Baderäume warf Oberscharführer Moll die geöffneten Behälter mit Zyklon B.
Die Schindlerfrauen bezogen eine Baracke des Lagers Birkenau, und die Schindler-Mythologie will wissen, daß es Höß selber war, mit dem Schindler um seine 300 Gefangenen rang. Anzunehmen ist, daß die beiden miteinander telefoniert haben, aber gewiß ist, daß Schindler auch mit Sturmbannführer Hartjenstein verhandelt hat, dem Kommandanten von Auschwitz II (Birkenau), und mit Untersturmführer Hössler, dem jungen Mann, dem in dieser
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