Schindlers Liste
Emalia ihn kannten: der Lebemann, der Mann von extravaganten Gewohnheiten. Mandel und Pfefferberg konnten sich selber aus erster Hand einen Eindruck davon verschaffen. Nach Beendigung der Arbeit an den Rohrleitungen der neuen Installationen kletterten sie hinauf zu dem großen offenen Wasserbehälter, der sich dicht unterm Dach befand, weil sie da ein Bad nehmen wollten. Zu ihrer Verblüffung fanden sie es schon besetzt: Schindler, splitterfasernackt, ergötzte sich darin in Gesellschaft der blonden SS-Aufseherin, die sich von Regina Horowitz die Brosche hatte schenken lassen, und sie war ebenso nackt wie Schindler. Ein eindrucksvolles Bild. Schindler bemerkte die beiden, ließ sich aber nicht stören.
Genierlichkeit in puncto Sexualität kannte er nicht. Und die prachtvolle Blondine neben ihm im Wasser offenbar ebenfalls nicht. Mandel und Pfefferberg machten kehrt, kopfschüttelnd und bewundernd durch die Zähne pfeifend. Über ihren Köpfen verlustierte Schindler sich wie Zeus.
Daß es zu keiner Typhusepidemie kam, schrieb Biberstein der Entlausungsanlage zu, und daß die Ruhrkranken allmählich gesundeten, schob er auf die Ernährung. In seiner Aussage, die sich in den Archiven von Jad Wa-Schem befindet, gibt er an, bei Eröffnung des Lagers habe die den Häftlingen täglich zukommende Kalorienmenge beinahe 2.000 betragen. Nirgendwo anders auf dem in der Winterkälte erstarrten Kontinent bekamen Juden so nahrhafte Mahlzeiten, einzig Schindlers Tausend. Es gab auch Hafermehl aus der Mühle unweit des Lagers an dem Flüßchen, in das Schindlers Mechaniker noch kürzlich die illegalen Schnapsvorräte entleert hatten. Mit einem Passierschein und einem Arbeitsauftrag versehen, füllten sie einfach die Hosen, deren Beine sie unten zugebunden hatten, mit Hafermehl und kehrten so ausgestopft und etwas gehbehindert an den Wachen vorbei zurück ins Lager.
Die notwendigen Passierscheine wurden von Mosche Bejski und dem jungen Bau im Zeichenbüro angefertigt.
Schindler legte ihnen eines Tages ein Dokument vor, das mit dem Dienstsiegel der Bewirtschaftungsstelle des Generalgouvernements versehen war; er hatte seine ertragreichsten Schwarzmarktquellen nämlich immer noch in Krakau. Die Ware konnte er telefonisch ordern, doch an der Grenze zum Protektorat mußte man Begleitdokumente der Behörden vorweisen können, und deshalb beauftragte er Bejski, ihm ein entsprechendes Dienstsiegel nach dem vorgelegten Muster anzufertigen.
Bejski war sehr geschickt. Jetzt begann er mit der Herstellung von Siegeln und Stempeln, die Schindler benötigte. Als Werkzeug dienten ihm Rasierklingen und kleine Messer. Seine Stempel wurden zu Emblemen der hauseigenen Brünnlitzer Bürokratie.
Er stellte Dienstsiegel des Generalgouvernements und des Gauleiters von Mähren her, Stempel, mit denen man Marschbefehle versehen konnte, was die Möglichkeit bot, Brot, Benzin, Zigaretten, Mehl und anderes per Lkw durch Häftlinge aus Brunn oder Olmütz holen zu lassen. Das Materiallager in Brünnlitz unterstand Leon Salpeter, ehedem Mitglied von Bibersteins Krakauer Judenrat.
Er verwaltete die jämmerlichen Zuteilungen, die von Hassebroeck aus Groß-Rosen geschickt wurden, und alles, was Schindler darüber hinaus auf dem schwarzen Markt mittels der gefälschten Dokumente heranschaffte.
Ein überlebender Schindlerjude erklärte mir: »Man darf nicht vergessen, daß Brünnlitz kein Zuckerlecken für uns war, aber verglichen mit anderen Lagern eben doch das reinste Paradies.« Die Häftlinge dürften gewußt haben, daß überall Mangel herrschte, auch in der sogenannten Freiheit. Auf die Frage, ob Schindler sich selbst ebenfalls an die Rationen gehalten habe, die er seinen Juden zukommen ließ, lautete die unter nachsichtigem Lachen gegebene Antwort: »Schindler? Warum sollte er sich was abgehen lassen? Der war immerhin der Direktor! Meinen Sie, wir hätten ihm seine guten Mahlzeiten mißgönnt? « Und dann ernst werdend und in dem Bemühen, verständlich zu machen, daß dies nichts mit Unterwürfigkeit zu tun hatte: »Sie verstehen das vielleicht nicht, aber wir waren dankbar dafür, daß wir dort sein durften. Wo hätten wir wohl sonst leben können?«
Wie schon zu Beginn seiner Ehe entfernte Schindler sich immer wieder für Tage von zu Hause. Stern und Frau Schindler hielten so manche Nachtwache miteinander in Schindlers Wohnung.
Der gelehrte Buchhalter bemühte sich stets, gute Gründe für Schindlers Abwesenheit vorzubringen. Jahre später sagte er:
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