Schindlers Liste
»Schindler war ständig unterwegs. Nicht nur kaufte er Lebensmittel für uns Häftlinge ein, er besorgte auch Waffen, damit wir nicht hilflos den zurückgehenden SS-Formationen ausgeliefert wären.« Dieses Gemälde eines Schindlers, der gleichsam als Josef der Ernährer ruhelos durchs Land streifte, macht Sterns Loyalität alle Ehre, doch Frau Schindler dürfte gewußt haben, daß die Reisen ihres Mannes nicht durchweg die eines vorbildlichen Samariters waren.
Als er wieder einmal unterwegs war, wurde der neunzehnjährige Janek Dresner der Sabotage beschuldigt. Dresner war ja alles andere als ein Metallarbeiter. In Plaszow hatte er in der Entlausungsanlage gearbeitet, hatte SS-Leuten, die die Sauna benutzten, frische Handtücher gereicht, die verlauste Häftlingskleidung desinfiziert. Dabei bekam er selber Typhus und überlebte nur, weil sein Vetter Dr. Schindel ihn als Anginafall deklarierte.
Sabotage verübte er, weil er von Ingenieur Schönbrunn von seiner gewohnten Drehbank weggeholt und an eine Presse gestellt wurde, mit der er nicht umgehen konnte. Die Ingenieure hatten eine ganze Woche gebraucht, um die Presse einzurichten, und beim ersten Versuch verursachte Dresner einen Kurzschluß und beschädigte die Platte. Schönbrunn brüllte ihn nicht nur an, sondern verfaßte einen Bericht. Dieser ging in drei Ausfertigungen heraus, eine für die Amtsgruppe D in Oranienburg, eine zu Hassebroeck nach Groß-Rosen und die dritte an Untersturmführer Leipold in dessen Schreibstube am Lagertor. Als Schindler am folgenden Morgen nicht zurück war, nahm Stern die Berichte aus dem Postsack und versteckte sie.
Leipold hatte seinen allerdings schon durch Boten bekommen, aber er war ein so korrekter Funktionär, daß er gegen Dresner nichts unternehmen wollte, bevor Weisungen von Hassebroeck und aus Oranienburg eintrafen. Zwei Tage später war Schindler immer noch nicht zurück, und Schönbrunn kam irgendwie dahinter, daß Stern die Berichte nicht abgeschickt hatte. Er explodierte vor Wut und drohte Stern an, auch dessen Namen in den Bericht einzufügen. Stern ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und erklärte dem wütenden Ingenieur, er habe es für angebracht gehalten, die Berichte erst herausgehen zu lassen, wenn der Herr Direktor davon Kenntnis genommen habe. Selbstverständlich werde der Herr Direktor ebenso wütend sein, wenn er erfahre, daß ein Häftling ihm einen Schaden in Höhe von RM 10 000 zugefügt habe, und ganz gewiß seine eigene Empfehlung dem Bericht anfügen wollen.
Als Schindler endlich eintraf, informierte ihn Stern sofort über den Vorfall. Untersturmführer Leipold wartete schon auf Schindler, wie immer erpicht darauf, seiner Autorität innerhalb des Lagers Geltung zu verschaffen. Dazu bot der Fall Dresner eine ideale Handhabe. »Ich werde die Untersuchung gegen den Häftling leiten, und Sie werden einen Bericht verfassen, aus dem die Höhe des Schadens ersichtlich ist«, sagte er zu Schindler. »Die Vernehmung werde ich leiten«, widersprach Schindler, »denn schließlich ist es meine Presse, und ich bin der Geschädigte.«
Leipold entgegnete, der Häftling unterstehe der Amtsgruppe D, wogegen Schindler einwandte, die Presse sei ihm von der Rüstungsinspektion überlassen worden, und im übrigen könne er nicht zulassen, daß die Vernehmung in der Werkshalle vorgenommen werde. Wäre Brünnlitz eine chemische oder eine Textilfabrik, würde sich so was auf die Produktion nicht weiter auswirken, doch hier würde schließlich Zubehör für Geheimwaffen gefertigt »und ich dulde nicht, daß meine Arbeiter nervös gemacht werden«.
Damit setzte er sich durch, womöglich, weil Leipold nachgab. Dem waren Schindlers Beziehungen nicht geheuer. Also fand die Vernehmung in aller Form nach Feierabend in der Werkzeugmaschinenabteilung der DEF statt, Leitung Oskar Schindler, anwesend Fuchs, Schönbrunn, Leipold und eine Protokollführerin.
Dresner wurde korrekt nach den von der Amtsgruppe D am u. April 1944 erlassenen Richtlinien vernommen; dies war der erste Schritt auf einem Weg, der über Hassebroeck und Oranienburg zum Tode des Häftlings Dresner durch den Strang führen konnte, und zwar in der Werkshalle vor versammelter Belegschaft, darunter seine Eltern und seine Schwester.
Dresner merkte gleich, daß er nicht mehr den Schindler vor sich hatte, den er in der Fabrik zu sehen gewohnt war. Schindler verlas laut die von Schönbrunn erhobene Anschuldigung, und Dresner fragte sich, ob der Direktor ihm der
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