Schindlers Liste
las, und schob Stern und Pemper das Telegramm hin. »Ein schöneres Geburtstagsgeschenk könnte ich mir gar nicht wünschen! Jetzt weiß ich jedenfalls, daß mit meinen Granaten kein armes Schwein ins Jenseits befördert wird.«
Dieser Vorfall ist kennzeichnend für zwei verschiedene Arten von Irrsinn: Man darf wohl einen Unternehmer für verrückt halten, der sich nichts anderes wünscht, als nicht zu produzieren. Man darf aber auch einen Technokraten für verrückt halten, der meint, ein Munitionshersteller würde sich noch darum bemühen, seine Drehbänke zu kalibrieren, nachdem Wien gefallen war und Marschall Konjews Truppen den Amerikanern an der Elbe die Hand gereicht hatten.
Die Frage, die sich hier stellt, lautet allerdings: Wie hat Schindler es fertiggebracht, in Brünnlitz die sieben Monate durchzuhalten, die bis zu seinem Geburtstag vergehen mußten?
Die Überlebenden erinnern sich, daß immer wieder Besichtigungen und Prüfungen stattfanden. Beauftragte der Amtsgruppe D und Ingenieure von der Rüstungsinspektion inspizierten den Betrieb. Schindler bewirtete alle mit Cognac und Schinken. Im Reich gab es diese guten Dinge kaum noch. Die Häftlinge an Drehbänken, Brennöfen und Pressen behaupten, diese Inspektoren hätten durch die Bank Alkoholfahnen gehabt. Eine Geschichte wird von allen erzählt, und sie betrifft einen Funktionär, der sich geschworen haben soll, ihm werde Schindler keinen Sand in die Augen streuen. Der sei leider die Treppe vom Oberstock hinuntergestürzt, habe sich den Kopf aufgeschlagen und den Oberschenkel gebrochen, weil Schindler ihm auf der Treppe ein Bein stellte. Wer das allerdings gewesen sein soll, weiß niemand genau. Einer behauptet, es sei Rasch gewesen, der höchste SS-und Polizeiführer von Mähren. Schindler selbst hat sich darüber nie geäußert. Die Anekdote spiegelte wohl die Erwartungen wider, die seine Häftlinge in Schindler setzten als in den Mann, der nicht nur alles heranschaffen, sondern auch mit jeder Krise fertig werden konnte. Man kann ihnen nicht verdenken, eine solche Geschichte erfunden zu haben. Sie selber waren ja ständig bedroht, und wenn die von ihnen erfundene Märchenfigur sie enttäuschte, waren sie verloren.
Brünnlitz überlebte die Inspektionen hauptsächlich deshalb, weil einige Häftlinge geschickt genug waren, die Inspektoren zu täuschen. So manipulierten die Elektriker die Thermometer der Brennöfen. Die zeigten die korrekte Temperatur auch dann, wenn die wirkliche Temperatur in den Öfen wesentlich geringer lag. »Ich habe dem Hersteller schon geschrieben«, sagte Schindler dazu und gerierte sich als der unwillige, ratlose Unternehmer, der seinen Profit entschwinden sieht. Er machte den Fußboden verantwortlich, schob die Schuld auf seine Betriebsingenieure. Und wieder war von »Anlaufschwierigkeiten« die Rede, und daß er tonnenweise Munition liefern würde, wären diese nur erst behoben.
Auch die mechanischen Drehbänke schienen einwandfrei kalibriert, waren tatsächlich aber falsch eingestellt. Die meisten Inspektoren nahmen offenbar nicht nur Geschenke in Form von Cognac und Zigaretten mit, sondern auch den Eindruck, daß man diesen braven Schindler seiner Schwierigkeiten wegen bedauern müsse.
Stern behauptet, Schindler habe sich bei anderen Munitionsherstellern Granaten beschafft und sie bei Inspektionen als eigene Produkte ausgegeben. Pfefferberg bestätigt das. Wie auch immer, Brünnlitz überstand diese Inspektionen, und Schindler war unerschöpflich im Erfinden von Tricks.
Um die feindseligen Einheimischen zu besänftigen, lud er von Zeit zu Zeit Funktionäre ein, die Fabrik zu besichtigen und danach bei ihm zu essen. Das waren aber immer solche, die keine hinreichenden technischen Fachkenntnisse besaßen. Seit er in Gestapohaft gewesen war, schrieben Leipold, Hoffmann und der Kreisleiter an Gott und die Welt und beschuldigten Schindler, die Rassengesetze ebensowenig zu beachten wie das Strafgesetz, einen unmoralischen Lebenswandel zu führen und seine Verbindungen zu mißbrauchen. Süßmuth unterrichtete ihn von den in Troppau eingehenden Beschwerden, und Schindler verfiel wieder auf einen Ausweg: Er lud Ernst Hahn nach Brünnlitz ein. Hahn war Standartenführer und stellvertretender Leiter jener Abteilung im SS-Hauptamt, die sich mit der Betreuung der Angehörigen von SS-Leuten befaßte. Überdies war er, wie Schindler mit der für ihn, den Wüstling, bezeichnenden Ehrpußligkeit sagte, »ein notorischer Säufer« und
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