Schindlers Liste
gab, und sie sahen in jemand, der davon befallen wurde, ein schuldloses Opfer. Schindler war nicht der einzige brave Mann, der davon befallen wurde. Ihrer Meinung nach handelte es sich um eine Mischung von Bazillen und Hexerei.
Gefragt, ob sie das für ansteckend hielten, hätten sie ohne zu zögern gesagt, jawohl, sehr sogar. Und sie hätten auf Oberleutnant Süßmuth als ein weiteres Opfer dieser Ansteckung gedeutet. Denn Schindler und Süßmuth gingen im Winter 1944/45 eine Verschwörung ein mit dem Ziel, weitere Frauen aus Auschwitz herauszuholen, in Gruppen von zwischen 300 und 500, und sie auf kleinere Arbeitslager in Mähren zu verteilen, insgesamt etwa 3000. Schindler übernahm das Überreden und Bestechen, Süßmuth den erforderlichen Schriftwechsel. In den mährischen Textilfabriken fehlte es an Arbeiterinnen, und nicht alle Fabrikdirektoren lehnten es so schroff wie Hoffmann ab, Jüdinnen zu beschäftigen.
Mindestens fünf deutsche Fabriken in Freudenthal, Jägerndorf, Liebau, Grulich und Trautenau übernahmen weibliche Häftlinge von Auschwitz und richteten zu diesem Zweck eigene Lager ein. Diese Lager waren keineswegs paradiesisch, um so weniger, als die SS dort mehr zu sagen hatte als Leipold bei Schindler. Schindler sagte später, die Frauen hätten da »unter erträglichen Bedingungen« gelebt.
Dafür war ausschlaggebend, daß es sich um kleine Lager handelte, von älteren Aufsehern bewacht, die weniger fanatisch waren. Die Frauen mußten sich vor Typhus hüten, sie litten ständig Hunger, doch entgingen sie im großen und ganzen den Liquidierungsmaßnahmen, die im Frühjahr für die großen Lager angeordnet wurden.
Betrachtet man Süßmuth als vom jüdischen Virus infiziert, so muß Schindler als jemand erscheinen, bei dem die Infektion bereits das galoppierende Stadium erreicht hatte. Er beantragte die Zuteilung von weiteren dreißig gelernten Metallarbeitern, denn wenn er auch nicht beabsichtigte, seine Produktion zu steigern, so war ihm doch klar, daß er Spezialisten vorweisen können mußte, wenn er auch weiterhin die Existenz seines Betriebes rechtfertigen wollte. Betrachtet man noch andere Ereignisse, die sich in jenem Winter zutrugen, wird klar, daß Schindler diese dreißig Leute nicht haben wollte, um sie an Drehbänke und Werkzeugmaschinen zu stellen, sondern einfach, weil es dreißig mehr sein würden, die er retten konnte. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, daß er ihrer mit einer Inbrunst habhaft zu werden versuchte, die der vergleichbar ist, mit der der Gläubige zu jenem brennenden Herzen Jesu aufblickt, dessen Abbild man in Frau Schindlers Wohnung sehen konnte. Da dieser Bericht vermeiden möchte, aus dem lebenslustigen Schindler einen Heiligen zu machen, muß bewiesen werden, daß er von dem Drang besessen war, Seelen zu retten.
Einer der dreißig Metallarbeiter, Mosche Henigman, hat über die Errettung einen Bericht zu Protokoll gegeben.
Kurz nach Weihnachten wurden 10 000 Häftlinge aus den Steinbrüchen des Lagers Auschwitz III, von der Rüstungsfabrik Krupp Weschel-Union, aus dem Werk für die Herstellung von synthetischem Benzin der IG Farben und denFlugzeugverwertungswerken nach Groß-Rosen in Marsch gesetzt.
Mag sein, daß beabsichtigt war, sie in Niederschlesien auf einzelne Arbeitslager zu verteilen, doch falls dies so gewesen sein sollte, kümmerte das Begleitpersonal der SS sich nicht darum. Auch die Ernährung der Marschkolonne wurde nicht bedacht und auch nicht die Wetterverhältnisse. Vor jedem Aufbruch wurden die Fuß- und sonstwie Kranken ausgesondert und erschossen, und nach zehn Tagen waren laut Henigman von anfangs 10 000 noch etwa 1100 am Leben. Die Russen hatten unterdessen die Weichsel überquert und alle Straßenverbindungen nach Nordwesten abgeschnitten. Man führte die Reste dieser Kolonne daher in ein Lager unweit Oppeln. Hier ließ der Lagerkommandant die gelernten Arbeiter aussondern, und dabei wurde wiederum eine Anzahl Häftlinge, weil nicht mehr arbeitsfähig, erschossen. Wer beim Appell aufgerufen wurde, wußte nicht, was er zu erwarten hatte - eine Brotration oder die Kugel. Henigman und dreißig andere allerdings wurden in einen Waggon verladen und Richtung Süden transportiert.
»Wir bekamen sogar Verpflegung mit auf die Reise, das war ganz unerhört.«
Die Ankunft in Brünnlitz schildert er als für sie völlig unglaubhaft. »Wir konnten uns nicht vorstellen, daß es irgendwo noch ein Lager gab, wo Männer und Frauen gemeinsam
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