Schindlers Liste
hinreißend banal: »Nur keine Angst, es ist alles in Ordnung.« Er war wohl so nahe an ihr Bett getreten, damit die Offiziere nicht glauben sollten, es handele sich um einen ansteckenden Fall.»Ich will diese Jüdin nicht in der Krankenstube haben«, erklärte Schindler wegwerfend. »Ein Fall von Gelenkrheuma. Hoffnungslos. Länger als Stunden hat sie nicht zu leben.« Und er begann umständlich, die Heizungsanlage zu erklären, die Heißwasserversorgung, zeigte auf Röhren und Kessel, erwähnte die Entlausungsanlage, die mit dem hier erzeugten Dampf betrieben wurde. Dabei tat er, als wäre sie gar nicht vorhanden. Lusia wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte, und machte einfach die Augen zu.
Zum Abschied lächelte Schindler ihr aufmunternd zu. Sechs Monate blieb sie da unten, und als sie erstmals die Treppe hinaufwankte, war die Welt verändert.
Während des Winters legte Schindler ein Waffenarsenal an, und auch darum ranken sich Legenden. Manche sagen, die Waffen seien gegen Ende des Winters von tschechischen Widerstandskämpfern beschafft worden, dagegen spricht allerdings, daß Schindler aus den Jahren 1938 und 1939 als Nationalsozialist bekannt war und deshalb kaum Kontakte in dieser Richtung gehabt haben dürfte. Die Waffen stammten im übrigen in der Mehrzahl aus einer besonders einwandfreien Quelle, nämlich von Obersturmbannführer Rasch, dem obersten Polizeiführer von Mähren.
Es handelte sich um Karabiner, Pistolen, einige Handgranaten und Sturmgewehre. Schindler sagte später darüber nur, er habe sie unter dem Vorwand beschafft,
»die Werksanlagen zu schützen. Bezahlt habe ich dafür mit einem Brillanten, ein Geschenk an seine (Raschs) Frau.«
Wie seine Verhandlungen in Raschs Büro auf der Festung Spielberg in Brunn im einzelnen verliefen, wissen wir nicht, doch kann man sich das leicht vorstellen. Direktor Schindler befürchtet einen Aufstand seiner Sklaven und ist willens, mannhaft an seinem Schreibtisch zu sterben, die Pistole in der Hand, nachdem er zuvor seine Frau erschossen hat, um sie vor einem schlimmeren Schicksal zu bewahren. Es ist ja auch nicht auszuschließen, daß eines Tages die Russen vor dem Lagertor erscheinen. Die Ingenieure Fuchs und Schönbrunn und das übrige zivile Personal müssen die Möglichkeit haben, sich zu wehren. Aber reden wir von erfreulicheren Dingen, Obersturmbannführer, ich habe hier letze Woche eine hübsche Kleinigkeit entdeckt — und schon erscheint der Brillant auf dem
Schreibtisch des Polizeichefs. »Als ich das Ding sah, habe ich gleich an Ihre Frau gedacht.«
Schindler ernannte Uri Bejski, den Bruder seines Stempelfälschers, zum Waffenmeister, einen zierlichen, drahtigen jungen Mann, der in Schindlers Wohnung ein und aus ging wie der Sohn des Hauses. Frau Schindler hatte eine Schwäche für ihn und überließ ihm einen Wohnungsschlüssel. Auch den überlebenden Sohn von Spira hatte sie ins Herz geschlossen, holte ihn häufig zu sich in die Küche und fütterte ihn mit Margarinebroten.
Bejski erteilte nun Unterricht in der Handhabung der neuesten Waffen, und zwar im Lebensmittelmagazin und jeweils immer nur einem der von ihm ausgewählten Leute.
Insgesamt waren drei Gruppen zu je fünf Mann gebildet worden, darunter Veteranen der polnischen Armee wie Pfefferberg und etliche Budzyner, jüdische Offiziere und Mannschaften der polnischen Armee, die die Liquidierung des Arbeitslagers Budzyn überlebten, das Untersturmführer Leipold geleitet hatte. Leipold hatte sie nach Brünnlitz mitgebracht. Es waren insgesamt so um die fünfzig. Sie galten durch die Bank als politisch sehr bewußt, waren im Lager Budzyn zu Marxisten geworden und glaubten an ein kommunistisch regiertes Nachkriegspolen. Ihre Beziehungen zu den übrigen Gefangenen, die, abgesehen von den Zionisten, eher unpolitisch waren, war gut. Ein Teil von ihnen wurde also von Bejski an diesen modernen Waffen ausgebildet, an Waffen, die es in der polnischen Vorkriegsarmee nicht gegeben hatte.
Frau Rasch hätte während der letzten Tage von ihres Mannes ganzer Machtfülle eigentlich immer, wenn sie ihren Brillanten bewunderte, darin gespiegelt das Schreckbild ihrer und ihres Führers Alpträume erblicken müssen: den bewaffneten jüdischen Marxisten.
Kapitel 3 6
Bei seinen alten Saufkumpanen, Bosch und Göth unter anderen, galt Schindler längst als ein Opfer des jüdischen Virus. Und das nicht etwa im übertragenen Sinne. Männer wie diese beiden glaubten fest daran, daß es so etwas
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