Schindlers Liste
brachte seinen Jugendfreund Franz Bosch mit, den Schindlerschon früher als »unverbesserlichen Trinker«
bezeichnet hatte. Bosch hatte die Familie Gutter erschossen. Schindler schluckte das um des Prestiges willen, das er sich von diesem Besuch erhoffte. Und wirklich, Hahn beeindruckte nicht nur durch eine makellose Uniform, er war Alter Kämpfer und trug alle erdenklichen Orden und Abzeichen, Winkel und Litzen und wurde von einem fast ebenso geschniegelt wirkenden Adjutanten begleitet. Schindler lud Leipold, der außerhalb des Lagers ein Häuschen gemietet hatte, zum Essen mit diesen Herren ein, und Leipold traute seinen Augen nicht: Hahn fand Schindler wunderbar, das taten alle Trinker. Schindler bezeichnete später diese Männer samt ihrem Lametta als »aufgeblasen«, aber der Zweck war erreicht: Leipold wußte jetzt, daß seine Beschwerden, egal an wen er sie richtete, sehr wahrscheinlich auf dem Schreibtisch eines der Saufkumpanen von Schindler landen und ihm, Leipold, womöglich auch noch schaden würden.
Am nächsten Vormittag konnte man Schindler mit diesen Größen aus Berlin durch Zwittau fahren sehen, augenscheinlich alle dicke Freunde. Die örtlichen Parteigenossen standen gaffend am Straßenrand und grüßten diese Prominenz.
Hoffmann war ein anderer Fall. Die in Brünnlitz lebenden dreihundert weiblichen Häftlinge waren »als Arbeitskräfte wertlos«, wie Schindler selbst gesagt hat. Allerdings machten sie sich nützlich, indem sie strickten, und stricken taten sie mit den von Hoffmann zurückgelassenen Wollresten. Hoffmann zeigte sie bei der KL-Verwaltung an: Sie hätten Wollreste aus dem Anbau gestohlen. Nicht nur halte er das für einen Skandal, es zeige auch deutlich, was in dieser sogenannten Munitionsfabrik vor sich gehe.
Als Schindler bei Hoffmann einen Besuch machte, traf er den alten Mann in Siegesstimmung.
»Wir haben in Berlin darum ersucht, daß man Ihren Betrieb schließt. Diesmal haben wir eidesstattliche Erklärungen beigelegt, aus denen hervorgeht, daß Sie nicht nur für die Volkswirtschaft ohne jeden Wert sind, sondern auch die Rassengesetze nicht beachten. Wir haben schon einen verwundeten Ingenieuroffizier aus Brunn damit beauftragt, aus Ihrem Betrieb was Anständiges zu machen.«
Schindler hörte sich das an, machte eine reuige Miene und telefonierte umgehend mit Oberst Lange in Berlin, den er darum bat, das Gesuch der Brüder Hoffmann aus Zwittau zu verlegen.
Immerhin kosteten die Wollreste noch RM 8000 — soviel verlangte Hoffmann bei einem außergerichtlichen Vergleich. Überhaupt setzten ihm die Zwittauer Behörden den ganzen Winter über zu, eine Schikane folgte auf die andere.
Die Optimistin Lusia machte ihre eigene Erfahrung mit den Inspektoren, eine Erfahrung, an der sich Schindlers Methoden besonders deutlich zeigen. Sie hauste immer noch im Keller und sollte dort auch den ganzen Winter über bleiben. Die anderen erkrankten Frauen hatten sich bereits soweit erholt, daß sie nach oben umziehen konnten, doch Lusia schien von ihrem Aufenthalt in Birkenau durch und durch vergiftet zu sein. Das Fieber wollte und wollte nicht weichen, ihre Gelenke entzündeten sich, in den Achselhöhlen traten Furunkel auf. Kaum brach eines auf und heilte ab, kam schon das nächste. Gegen den Rat von Dr. Biberstein öffnete Dr. Handler mehrere mit dem Küchenmesser. Lusia blieb im Keller, obwohl gut genährt, geisterbleich und nach wie vor infiziert. Dies war der einzige Ort, an dem sie überleben konnte. Das war ihr durchaus bewußt, und sie hoffte, daß die Ereignisse sich gleichsam über ihrem Kopf abspielen und sie ungeschoren lassen würden.
Hier im warmen Keller herrschte immer Dunkelheit. Frau Schindler sah häufig nach ihr, aber schon an der Art, wie die Kellertür jetzt aufgestoßen wurde, und an den auf der Treppe dröhnenden Schritten erkannte sie, daß diesmal andere Besucher zu erwarten waren, es klang wie eine der nur zu bekannten Aktionen. Und die Besucher waren denn auch Schindler und zwei SS-Offiziere aus Groß-Rosen. Nun standen sie zu dritt hier unten im Heizungskeller und sahen sich um. Lusia kam der Gedanke, sie könne womöglich das Opfer sein, das dargebracht werden mußte, damit die Besucher befriedigt wieder abzögen. Sie lag halb verborgen hinter einem Heizkessel, doch Schindler bemühte sich nicht, ihre Anwesenheit zu vertuschen, er trat vielmehr an ihr Lager. Die Besucher schienen nicht sehr fest auf den Beinen zu stehen, und was er ihr zuflüsterte, klang
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