Schindlers Liste
orthodoxe Ostjuden — mit Maschinenwaffen niedergemacht worden waren. Sie suchte sogleich den Führer auf, der sich beim Hauptquartier der Heeresgruppe Süd befand, und machte ihm eine Szene. Und darum ging es im wesentlichen: Es waren zu viele, bekannt werden sollte nichts, der Aufwand war zu groß. Das Rezept Einsatzgruppen taugte nicht.
Aber auch Madagaskar könnte sich erübrigen, sobald man Wege fand, die Untermenschenpopulation von Mitteleuropa wirkungsvoll zu dezimieren, an geeigneten Orten, mit den für die Beseitigung der Leichen notwendigen Vorkehrungen, die nicht durch Zufall von neugierigen Filmregisseuren entdeckt werden konnten.
Ganz wie Schindler in Sterns Büro bei Buchheiser vorhergesagt hatte, nahm die SS sich die Jakoba-, Izaaka-und Jozefastraße vor, erbrach Wohnungen, Schränke, Schreibtische, Nachtkästen, zerrte Schmuckstücke von Fingern und Hälsen.
Einer jungen Frau, die ihren Pelzmantel festhielt, wurde der Arm gebrochen, ein Junge aus der Ciemnastraße, der seine Skier nicht hergeben wollte, wurde erschossen.
Einige von denen, die solcherart beraubt wurden, würden tags darauf Anzeige erstatten, ohne zu ahnen, daß für die SS die Gesetze nicht galten. Die Geschichte lehrte, daß es immer irgendwo einen einigermaßen integren hohen Vorgesetzten gab, dem derartiges peinlich war und der womöglich einige Plünderer bestrafte. Der Tod des Jungen aus der Ciemnastraße mußte ebenso untersucht werden wie der Fall einer Frau, deren Nasenbein mit dem Gummiknüppel gebrochen worden war.
Während die SS dergestalt mit den Wohnungen beschäftigt war, wandte die Abteilung der Einsatzgruppe sich dem alten Gotteshaus aus dem 14. Jahrhundert zu. Wie erwartet traf man hier orthodoxe Juden mit Barten, Paies und Gebetsschal bei der Andacht. Man holte eine Anzahl weniger frommer Juden aus den umliegenden Häusern und trieb sie ebenfalls in die Synagoge, so als sei man gespannt darauf, wie die eine Gruppe auf die Anwesenheit der anderen wohl reagiere.
Unter den nachträglich in die Synagoge Gestoßenen befand sich der Verbrecher Max Redlicht, der freiwillig den alten Tempel nie betreten hätte und dazu auch nie aufgefordert worden wäre. Da standen sie vor der Bundeslade, diese so verschiedenen Exemplare des gleichen Stammes, die sich normalerweise mieden. Der Unteroffizier öffnete die Bundeslade und holte die Thorarolle heraus. Die zusammengewürfelten Gläubigen sollten nun daran vorübergehen und einer um den anderen auf die Thora spucken und zwar nicht nur so tun, man wollte die Spucke sehen.
Die Orthodoxen betrugen sich vernünftiger als die anderen, die Ungläubigen, die Liberalen, die, die sich nicht mehr als Juden, sondern als Europäer empfanden. Die Deutschen sahen deutlich, daß gerade die modern Gekleideten zurückzuckten, manche sie gar mit verständnisheischenden Blicken ansahen, als wollten sie sagen: Nun laßt uns doch, für solchen Unsinn sind wir doch alle zu aufgeklärt. Die SS-Leute hatten im Unterricht gelernt, daß der europäische Anstrich der liberalen Juden nur hauchdünn sei, und hier in Stara Boznica bestätigte das Zögern der modisch gekleideten Männer mit den kurzgeschnittenen Haaren die Richtigkeit dieses Urteils. Am Ende spuckte nur einer nicht: Max Redlicht. Mag sein, es reizte die Deutschen, einen Mann, der so offenkundig ein Ungläubiger war, dazu zu bringen, daß er ein Buch bespuckte, das ihm als antiquierter Hokuspokus erscheinen mußte und das zu schänden ihm doch sein Blut verbot. Würde die Vernunft den Sieg erringen? Sie tat es nicht.
Er sagte laut: »Ich habe manches getan. Dies tue ich nicht.« Dafür wurde er als erster erschossen, danach die anderen. Alsdann legte man Feuer, und die älteste aller polnischen Synagogen brannte bis auf die Grundmauern nieder.
Kapitel 5
Victoria Klonowska, Schindlers polnische Sekretärin, war eine Schönheit, und er begann sogleich ein Verhältnis mit ihr. Seine deutsche Geliebte Ingrid muß davon gewußt haben, ebenso wie seine Frau Emilie von Ingrid wußte. Denn Schindler war kein verstohlener Liebhaber, sondern in sexuellen Dingen von einer kindlichen Offenheit. Nicht etwa, daß er damit prahlte, nur sah er nie ein, weshalb er Lügen erzählen, sich heimlich in Hotels treffen, zu unmöglichen Stunden durch die Hintertür zu einem Mädchen schleichen sollte. Und da er seine Frauen einfach nicht belog, fanden die es unmöglich, ihm die traditionellen Eifersuchtsszenen zu machen.
Mit der blonden Hochfrisur, dem
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