Schindlers Liste
hübschen, sorgfältig geschminkten füchsischen Gesicht sah Victoria Klonoswka aus wie eine jener leichtfertigen jungen Frauen, die die Weltgeschichte nur unter dem Gesichtspunkt betrachten, ob sie ihr Privatleben stört oder nicht. Während man in diesem Herbst meist schlicht gekleidete Frauen sah, gab Klonoswka sich ausgesprochen elegant. Dabei war sie außerordentlich tüchtig, nüchtern und gewandt. Auch war sie eine überzeugte polnische Nationalistin. Später einmal sollte sie bei den deutschen Behörden die Entlassung ihres Liebhabers aus dem SS-Gefängnis durchsetzen, doch zunächst hatte sie anderes für ihn zu erledigen, so zum Beispiel eine Bar oder ein Kabarett ausfindig zu machen, wohin er seine Freunde einladen könnte. Nicht Leute, mit denen er geschäftlich zu tun hatte, Funktionäre der Rüstungsinspektion etwa, sondern wirkliche Freunde. Er wollte Betrieb um sich haben, und es sollte ein Lokal sein, wo man nicht mit dem Erscheinen ältlicher Funktionäre zu rechnen hatte. Ob sie was Geeignetes kenne?
Sie entdeckte in dem Gassengewirr nördlich des Ringes einen Jazzkeller. Dort verkehrten seit je Studenten und jüngere Dozenten von der Universität, Victoria allerdings war hier nie gewesen. Die älteren Herren, die ihr in Friedenszeiten nachgestellt hatten, wären niemals in eine Studentenkneipe gegangen. Man konnte auch ein Séparée nehmen und war dann sowohl von schweren Vorhängen wie von der alles übertönenden Musik geschützt. Der Partei galt Jazz nicht nur als dekadente Musikform, sondern als afrikanischer Untermenschenlärm.
Funktionäre bevorzugten Wiener Walzer und verschmähten Jazz.
Um die Weihnachtszeit 1939 lud Schindler eine Anzahl Freunde in diesen Keller ein. Wie allen kontaktfreudigen Männern machte es ihm nichts aus, mit Leuten zu trinken, die er nicht leiden mochte, aber diese mochte er. Selbstverständlich waren sie überdies nützlich, es waren Männer von niedrigem Rang, aber nicht ohne Einfluß bei ihren Dienststellen, und sie alle lebten in einem sozusagen doppelten Exil: fern von daheim und unter einem Regime, das ihnen mehr oder weniger zuwider war.
Zu den Gästen gehörte ein deutscher Vermesser von der Verwaltung für Inneres des Generalgouvernements. Der hatte das Gelände vermessen, auf dem Schindlers Emailwarenfabrik in Zablocie sich befand. Angrenzend an die DEF (Deutsche Emailwarenfabrik) gab es unbebautes Gelände und daran anschließend eine Kistenfabrik und eine für Flugzeugteile.
Zu Schindlers Entzücken stellte sich heraus, daß das unbebaute Gelände ihm gehörte. Schon sah er in Gedanken einen Anbau an seine Fabrik entstehen. Der Vermesser war eingeladen worden, weil er ein anständiger Kerl war, mit dem sich reden ließ, und den man später einmal, wenn es um eine Baubewilligung ging, brauchen konnte. Ferner waren Wachtmeister Toffel und Reeder vom SD da sowie ein weiterer junger Offizier von der Rüstungsinspektion, Steinhauser mit Namen, ebenfalls Vermessungsingenieur.
Auch diesen hatte Schindler im Zusammenhang mit der Übernahme seiner Fabrik kennengelernt und ihn gelegentlich auf ein Glas eingeladen. Er war nämlich der Meinung, daß man mit Bürokraten, abgesehen von Bestechung, am besten fertig wurde, wenn man sie mit Alkohol traktierte.
Dann waren da noch zwei Leutnants von der Abwehr, der schon bekannte Gebauer, der Schindler angeworben hatte, und ein gewisser Martin Plathe von der Außenstelle Breslau.
Wie erinnerlich, verdankte Schindler die nähere Bekanntschaft mit Krakau ja seinen Reisen im Auftrag von Gebauer.
Auch die Anwesenheit dieser beiden Herren war für Schindler nebenher nützlich. Noch wurde er als Agent der Abwehr geführt, und er versorgte von Krakau aus die Breslauer Außenstelle mit Berichten über das Verhalten der Konkurrenz der SS. Daß er Toffel und Reeder eingeladen hatte, mußten die beiden Abwehrleute als einen ihnen persönlich erwiesenen Dienst betrachten.
Man kann die Gespräche an jenem Abend selbstverständlich nicht wörtlich wiedergeben, doch ist eine annähernde Rekonstruktion aufgrund von Äußerungen Schindlers über jeden einzelnen dieser Männer wohl möglich. Danach dürfte Gebauer den ersten Toast ausgebracht haben, und zwar nicht auf Führer und Vaterland, sondern auf Schindler und seine Fabrik, denn, so sagte er, falls nur Schindlers Fabrik prosperiere, dürfe man auch in Zukunft mit solchen kleinen Geselligkeiten rechnen, auf die sich niemand so gut verstehe wie Schindler.
Und dann kam die
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