Schindlers Liste
des Volkes hieß im Klartext, wie alle Beteiligten wußten, Rassenkampf, glühende Gewehrläufe.
Die Angehörigen der Einsatzgruppe, die an der Aktion teilnehmen sollten, würden die Durchsuchung und Plünderung von Wohnungen der hiesigen SS überlassen und sich ernsteren Aufgaben zuwenden: der Ausrottung der jüdischen Kultur an der Wurzel, den alten Synagogen von Krakau.
SD, ein Sonderkommando der SS, und die Einsatzgruppenleute warteten schon eine ganze Weile darauf, endlich tätig zu werden, doch hatte die Wehrmacht mit Heydrich und den höheren Polizeiführern vereinbart, daß diese Aktionen erst gestartet werden dürften, wenn anstelle der Militärverwaltung eine zivile Verwaltung getreten sei. Dieser Übergang hatte nun stattgefunden, und im ganzen Lande wurden Einsatzgruppen und Sonderkommandos auf die alten jüdischen Gettos angesetzt.
Am Ende der Straße, in welcher Schindlers Wohnung lag, ragte der befestigte Felsen auf, den der Wawel krönte, wo Hans Frank herrschte. Will man Schindlers künftige Tätigkeit in Polen verstehen, muß man untersuchen, in welchem Verhältnis Frank einerseits zu den Kommandeuren von SS und SD stand und andererseits zu den Krakauer Juden.
Zunächst einmal hatte Frank keine direkte Befehlsgewalt über die Sondereinheiten, die auf Kazimierz angesetzt wurden. Himmlers Polizeieinheiten folgten, egal wo sie auftraten, nur ihren eigenen Gesetzen. Nicht nur deshalb war Frank ihnen gram, sondern auch aus praktischen Erwägungen. Die Juden waren ihm mindestens ein ebensolcher Greuel wie anderen Parteimitgliedern, und er fand die Krakauer Luft geradezu verpestet, solange auch Juden hier atmeten. Seit Wochen beklagte er sich darüber, daß die Behörden sein Generalgouverment und insbesondere Krakau, seiner Bahnverbindungen wegen, sozusagen als Müllhalde für Juden aus dem Wartheland, aus Posen und Lodz benutzten, und er glaubte auch nicht, daß Einsatzgruppen und Sonderkommandos mit den gängigen Methoden der Aufgabe gewachsen waren. Frank meinte, ebenso wie gelegentlich Himmler, es müsse ein riesiges Konzentrationslager für sämtliche Juden errichtet werden, mindestens so groß wie Lublin samt umliegenden Ortschaften, am besten aber eigne sich dazu die Insel Madagaskar.
Die Polen waren übrigens der gleichen Ansicht. Schon 1937 hatte die polnische Regierung eine Kommission dorthin entsandt, um die bergige Insel, die für diese empfindsamen Mitteleuropäer weit genug entfernt war, auf ihre Eignung zu prüfen. Das französische Kolonialministerium, dem Madagaskar gehörte, war bereit, einem entsprechenden zwischenstaatlichen Abkommen zuzustimmen, denn ein Madagaskar, auf dem sämtliche europäischen Juden zusammengedrängt würden, mußte einen vortrefflichen Exportmarkt abgeben. Der Kriegsminister Oswald Pirow von der Südafrikanischen Union war später eine Weile als Vermittler zwischen Hitler und Frankreich in dieser Angelegenheit tätig.
Madagaskar hatte als Lösungsvorschlag mithin bereits Tradition. Frank plädierte für Madagaskar, nicht für die Einsatzgruppen. Denn deren sporadische Tätigkeit konnte die osteuropäische Untermenschenpopulation nicht wirkungsvoll genug reduzieren. Während noch um Warschau gekämpft wurde, hatten deren Leute in schlesischen Synagogen Juden aufgehängt, sie mit Wasserstrahlen zu Tode gefoltert, sie am Sabbat aus ihren Wohnungen geholt, ihnen die Locken geschoren, die Gebetstücher in Brand gesetzt, sie an die Wand gestellt. Das brachte alles so gut wie nichts.
Die Geschichte lehrte, so Frank, daß vom Völkermord bedrohte Gemeinschaften sich nur um so schneller vermehrten. Der Phallus war wirkungsvoller als der Revolver. Was niemand wußte — weder die streitenden Beteiligten noch die auf Lastwagen verladenen Angehörigen der Einsatzgruppen und der SS, auch nicht die in der Synagoge versammelten Gläubigen oder Herr Oskar Schindler auf dem Weg in seine Wohnung, wo er sich zum Abendessen umzukleiden gedachte -, was also keiner von diesen wußte und was so manches Plangenie in der Partei nicht zu hoffen wagte, war, daß es auf dieses Problem eine technische Antwort gab, daß eine Chemikalie, das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B, die Stelle von Madagaskar einnehmen könnte.
Ausgerechnet mit Leni Riefenstahl, der von Hitler hochgeschätzten Filmregisseurin, hatte es einen unangenehmen Zwischenfall gegeben. Kurz nach der Einnahme von Lodz war sie dort mit einem Kamerateam erschienen und hatte gesehen, wie Juden — unverwechselbare
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