Schindlers Liste
einzustecken; bei dem Versuch wurde er geschlagen. Goring persönlich beklagte, »daß bei solchen Aktionen vom Chauffeur bis zum Gauleiter die Beteiligten sich so bereichert haben, daß sie Millionäre geworden sind«. Die Untergrabung der Moral der Parteigenossen mag Goring tatsächlich beklagenswert erschienen sein, doch es war nun einmal so, daß über derartige Vermögenswerte keinerlei Rechenschaft abgelegt wurde.
Bei Schindlers erstem Besuch waren Pfefferbergs aber, wie gesagt, noch im Besitz ihrer Wohnung. Als er klopfte, sprachen Mutter und Sohn über Stoff-und Tapetenmuster. Da die Wohnung zwei Eingänge hatte — der zum Atelier und der zur Küche lagen einander gegenüber—, war Leopold weiter nicht beunruhigt, er verzog sich in die Küche und betrachtete den Besucher durch den Türspalt. Die athletische Gestalt und die modische Kleidung ließen ihn auf Gestapo tippen. Er warnte seine Mutter und sagte, er wolle durch die Küche fortgehen, sobald sie Schindler ins Atelier eintreten lasse.
Frau Pfefferberg öffnete zitternd; sie erwartete, weitere Schritte im Korridor zu hören. Ihr Sohn hatte derweil die Pistole eingesteckt und beabsichtigte, sich durch die Küche zu entfernen. Dann aber meinte er, es sei besser, mindestens zu erfahren, was dieser Deutsche wollte. Es mochte notwendig werden, ihn zu erschießen, und dann war gemeinsame Flucht nach Rumänien geboten.
Wäre es dazu gekommen, wäre das in diesem Monat nichts Ungewöhnliches gewesen. Man hätte Schindler flüchtig betrauert und ausgiebig gerächt. Und in Zwittau hätte man gefragt: »Ist er von einem eifersüchtigen Ehemann erschossen worden?«
Schindlers Stimme war eine Überraschung. Er sprach ruhig und gedämpft, wie ein Mann in Geschäften eben, während Pfefferbergs sich in den vergangenen Wochen an einen schroffen Befehlston gewöhnt hatten. Pfefferberg stand jetzt hinter der Doppeltür zum Speisezimmer.
Er konnte den Deutschen beobachten.
»Sie sind Frau Pfefferberg? Herr Nußbaum hat mich an Sie empfohlen. Ich habe gerade eine neue Wohnung bezogen und möchte sie anders einrichten lassen.«
Frau Pfefferberg hatte Mühe zu antworten. Deshalb kam ihr Sohn jetzt herein, bat den Besucher ins Zimmer und beruhigte seine Mutter mit einigen gemurmelten polnischen Worten. Schindler stellte sich vor, er und Pfefferberg maßen einander abschätzend, Schindler spürte wohl, daß etwas in der Luft lag. »Ich erwarte meine Frau aus dem Sudetenland«, sagte er, »und möchte vorher einiges in der Wohnung ändern.« Nußbaums, fuhr er fort, seien zwar sehr solide eingerichtet, doch bevorzugten sie düstere Farben, während seine Frau mehr fürs Leichte, Helle sei - ein bißchen französisch, ein bißchen schwedisch.
Frau Pfefferberg war nun imstande, Bedenken zu äußern — jetzt vor Weihnachten sei viel zu tun… Ihr Sohn spürte, daß es ihr widerstrebte, einen deutschen Kunden zu haben, ohne aber zu bedenken, daß womöglich einzig Deutsche in diesen Zeiten fest genug an eine Zukunft glaubten, die es lohnte, sich neu einzurichten. Ein solcher Auftrag käme auch wie gerufen, denn der alte Pfefferberg hatte eine sehr gute Stellung verloren und arbeitete derzeit für ein Taschengeld bei der jüdischen Gemeinde.
Innerhalb von Minuten stellte sich zwischen den beiden Männern ein angenehmer Verkehrston her; die kleine Pistole mochte irgendwann in der Zukunft Verwendung finden.
Frau Pfefferberg würde selbstverständlich Schindlers Wohnung neu dekorieren, es sollte an nichts fehlen. Schindler forderte Pfefferberg auf, ihn zu besuchen: »Sie könnten mir gewiß behilflich sein, dies und das zu besorgen… zum Beispiel diese eleganten Hemden, die Sie tragen. Ich wüßte nicht, wo ich hier nach solchen Dingen suchen könnte.«Das war gut gespielte Naivität, und Pfefferberg durchschaute sie. »In den Geschäften gibt es doch nichts mehr«, deutete Schindler diskret an.
Pfefferberg liebte es, riskant zu spielen. »Solche Hemden sind sehr teuer. Unter 25 Zloty kriegen Sie die nicht.«
Das war der fünffache Preis. Schindler lächelte ganz unerwartet amüsiert, aber nicht bösartig.
»Ich könnte Ihnen vielleicht welche besorgen. Ich brauche dazu Ihre Maße. Und der Lieferant verlangt Barzahlung im voraus.«
Schindler, immer noch amüsiert, entnahm seiner Brieftasche 200 Reichsmark, viel zuviel, selbst unter Zugrundelegung des von Pfefferberg genannten Preises, doch der verzog keine Miene. »Ihre Maße bitte«, sagte er nur.
Eine Woche später
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