Schindlers Liste
sollte, dann würde das hier geschehen. Doch als Henry von dem Ackerwagen, auf den er mit seinem Bruder geklettert war, die Menge überblickte, wußte er, daß nichts passieren würde. Die Bauern waren stolz auf sie, für diesmal jedenfalls waren die Juden Rosner hier die Repräsentanten der polnischen Kultur und somit geschützt. Es erinnert so sehr an vergangene Zeiten, daß Henry ein Weilchen alles vergaß und nur für Olek und Manci spielte. Minutenlang kam es ihm vor, als habe die Musik der Welt endlich den Frieden gebracht.
Dann näherte sich ein SS-Unterführer der Gruppe, die sich um Rosner gesammelt hatte und Beifall klatschte, und bemerkte kalt lächelnd: »Ich hoffe, Sie feiern alle ein schönes Erntedankfest«, und machte kehrt.
Die Brüder starrten einander an, und kaum war der Mann außer Hörweite, erörterten sie, was er wohl gemeint haben könnte. Leopold war davon überzeugt, daß es sich um eine Drohung gehandelt habe. Und beiden wurde klar, wie berechtigt die Angst gewesen war, die sie gleich gespürt hatten, als jener Volksdeutsche seinen Vorschlag gemacht hatte. Man durfte um keinen Preis auffallen.
Da saßen sie nun also im Herbst 1940 auf dem Dorf, ihre berufliche Karriere als Musiker war abrupt beendet worden, sie hielten sich mit Mühe über Wasser, gelegentlich wurde ihnen ein Schrecken eingejagt, und sie spürten den unwiderstehlichen Drang, in ihre Heimatstadt Krakau zurückzukehren.
Frau Schindler war im Herbst heimgefahren, und als Stern wieder einmal zu Schindler in die Wohnung kam, wurde der Kaffee von Ingrid serviert. Schindler machte aus seinen Schwächen kein Hehl und kam nicht auf die Idee, sich bei dem asketischen Stern für Ingrids Anwesenheit zu entschuldigen. Nach dem Kaffee stellte er zwischen sich und Stern eine Flasche Cognac auf den Tisch, so als glaube er wirklich, Stern würde ihm helfen, sie zu leeren. Stern war hier, um Schindler zu berichten, daß gewisse Leute namens C.* ihn, Schindler, verleumdeten; der alte David C. und der junge Leon C. erzählten in Kazimierz jedem, der es hören wollte, Schindler sei ein deutscher Verbrecher, ein schlichter Betrüger. Schindler wußte, daß Stern keine Reaktion von ihm erwartete, er wollte ihn nur ins Bild setzen.
»Ich könnte meinerseits das gleiche von diesen beiden behaupten«, sagte Schindler jedoch.
»Die nehmen mich nach Strich und Faden aus. Da können Sie Ingrid fragen.«
Ingrid beaufsichtigte die Firma C. Sie war eine gutmütige Treuhänderin, noch jung und beruflich unerfahren. Es hieß, Schindler habe ihr diese Treuhänderschaft zugeschanzt, um den Absatz seiner Küchenutensilien zu fördern. C.s machten trotz der Treuhänderschaft so ziemlich, was sie wollten; daß es ihnen nicht paßte, einen Treuhänder der Besatzungsmacht im Geschäft zu haben, konnte ihnen niemand verdenken.
Stern winkte ab. Ihm kam es nicht zu, Fragen an Ingrid zu stellen. Das hätte auch wenig Sinn gehabt.
»Die buttern Ingrid einfach unter«, sagte Schindler. »Sie fahren in der Lipowastraße vor, ändern ganz einfach die auf den Lieferscheinen angegebenen Mengen und laden mehr auf, als sie bezahlt haben. Meinen Angestellten sagen sie ganz einfach, Ingrid wüßte Bescheid und es sei so mit mir vereinbart.«
Der Sohn C. war so weit gegangen, vor Zeugen zu behaupten, Schindler habe ihn durch die SS verprügeln lassen - allerdings gab es darüber verschiedene Versionen. Einmal hatte das angeblich im Fabriklager stattgefunden, C. hatte ein blaues Auge davongetragen, und Zähne waren ihm ausgeschlagen worden. Dann wieder sollte sich das alles auf der Limanowskiegostraße abgespielt haben, vor Zeugen. Ein Mann namens F., ein Angestellter Schindlers und mit
* Ich verwende hier ein Initial statt eines erfundenen Namens, weil in Krakau sämtliche jüdisch-polnischen Namen vertreten waren, und wenn ich einen anderen als den wirklichen Namen der C. verwendete, könnte ich damit das Andenken von Opfern der Verfolgung oder noch lebende Freunde Schindlers kränken.
C. befreundet, behauptete, er habe gehört, daß Schindler sich in der Fabrik laut gegen David C. verschworen habe. Angeblich war er nach Stradom gefahren, hatte bei C. die Kasse geplündert und sich die Taschen voller Banknoten gestopft. Dabei habe er verkündet, es herrsche jetzt in Europa eine neue Ordnung, und er habe anschließend den alten C. in dessen Kontor verprügelt.
Ist es denkbar, daß Schindler den alten David C. bettreif geprügelt, daß er die Polizei auf Leon
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