Schindlers Liste
längst nicht so genau drauf an wie bei Munition. Auch ließ sich mit Granathülsen nicht unterm Ladentisch handeln, und gerade das gefiel Schindler, das hatte er gern. Er liebte das Risiko, die Anrüchigkeit, den schnellen Profit ohne Buchführung.Aber weil es politisch klug war, richtete er eine Munitionsfertigung ein, er stellte in einer Galerie seiner Fertigungshalle zwei Maschinen vom Fabrikat Hilo zur Präzisionsfertigung von Granathülsen auf. Noch befand sich die Anlage im Erprobungsstadium, es würden mit Planung, dem Ausmessen und den ersten Versuchen noch Monate vergehen. Die großen Hilos verliehen der Schindlerschen Fabrik immerhin den Anschein eines kriegswichtigen Betriebes, und man konnte ja nicht wissen, was alles kommen würde.
Bevor noch die Hilos richtig kalibriert waren, hörte Schindler von seinen Verbindungsleuten bei der SS, daß für die Juden ein Getto eingerichtet werden sollte. Er erwähnte das behutsam gegenüber Stern, den er nicht erschrecken wollte. Stern wußte es bereits. Manche Leute freuten sich sogar darauf: Dann sind wir drin, und der Feind ist draußen. Wir können unsere Angelegenheiten selber regeln. Niemand wird uns beneiden, uns auf der Straße mit Steinen bewerfen. Das Getto wird feste Mauern haben. Nun ja. Die Mauern gaben der Katastrophe ihre endgültige feste Form.
Die Gen. Gouv 44/91 überschriebene Bekanntmachung wurde am 3. März angeschlagen und über Lautsprecher in Kazimierz verlesen. In seiner Munitionsfertigung hörte Schindler einen deutschen Techniker dazu bemerken: »Es geht ihnen im Getto doch bestimmt besser, die Polen hassen sie wie die Pest.«
Eben diesen Vorwand benutzte auch die Verordnung. Um den Gegensatz zwischen den Rassen im Generalgouvernement zu mildern, wird ein abgeschlossenes Judenviertel eingerichtet. Alle Juden sind verpflichtet, in diesem Getto zu wohnen, nur wer eine gültige Arbeitskarte hat, darf das Getto zur Arbeit verlassen. Das Krakauer Getto wird am anderen Weichselufer in Podgorze eingerichtet. Bis zum 20.März müssen alle Juden dort Aufenthalt nehmen. Der Judenrat wird die Wohnungen zuteilen, während die jetzt dort lebenden Polen über das polnische Wohnungsamt andere Unterkünfte in der Stadt zugewiesen bekommen.
Die Bekanntmachung zeigte auch einen Plan des neuen Gettos. Im Norden sollte es vom Fluß begrenzt werden, im Osten von der Eisenbahnlinie nach Lwow, im Süden von den Hügeln jenseits Rekawka, im Westen vom Podgorze-Platz. Es würde sehr eng werden da drinnen. Immerhin stand zu hoffen, daß die Repression nun ihre endgültige Form annehmen und den Betroffenen gestatten würde, für eine wie auch immer eingeschränkte Zukunft zu planen. Ein Mensch wie Juda Dresner zum Beispiel, ein Textilgroßhändler in der Stradomstraße, der noch nahe mit Schindler bekannt werden sollte, hatte in den vergangenen anderthalb Jahren unter einer verwirrenden Folge von Verordnungen, Erlassen, Eingriffen, Beschlagnahmungen zu leiden gehabt. Sein Geschäft, sein Auto, seine Wohnung hatte er eingebüßt. Sein Bankguthaben war eingefroren. Die Schulen, die seine Kinder besuchten, waren geschlossen worden, beziehungsweise hatte man sie der Schule verwiesen. Der Familienschmuck und das Radio waren weggenommen worden.
Er und die Seinen durften den Stadtkern von Krakau nicht mehr betreten, reisen durften sie auch nicht. Sie durften nur gekennzeichnete Straßenbahnwagen benutzen. Frau, Tochter und Söhne wurden immer wieder zum Schneeschaufeln oder zu anderen Zwangsarbeiten kommandiert. Wurde man auf einen Lkw geladen, wußte man nie, wann man zurückkommen würde, ahnte nicht, wie schnell der Mann, der die noch unbekannte neue Arbeit beaufsichtigte, mit dem Finger am Abzug war. Unter solchen Bedingungen war man einfach verloren, man rutschte in einen bodenlosen Abgrund. Und einen Boden mochte das Getto bieten, einen festen Halt, der es ermöglichte, die Gedanken zu sammeln.
Überdies war den Krakauer Juden der Gedanke des Gettos vertraut, ja man könnte sagen, angeboren. Nachdem es nun einmal verordnet war, ging schon allein von dem Wort ein beschwichtigender, altgewohnter Klang aus. Erst die Großväter hatten das Getto von Kazimierz verlassen dürfen, als Franz Josef ihnen r867 erlaubte, sich überall in der Stadt niederzulassen. Zyniker behaupteten, die Österreicher hätten das Getto öffnen müssen, weil man polnische Arbeiter nahe bei ihren Arbeitsplätzen unterbringen wollte. Franz Josef wurde aber gleichwohl von den Älteren immer
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