Schindlers Liste
aber total verlassen. Alle Türen standen offen, Mila war samt dem Gepäck verschwunden. Er fragte sich, ob sich nicht alle - Dr. H., dessen Frau und Mila — im Hospital verborgen hielten. Vielleicht hatte der Doktor Mila abgeholt.
Poldek erreichte auf Schleichwegen den Hof des Hospitals. Blutiges Leinzeug hing aus den Fenstern der oberen Stockwerke, und auf dem Kopfsteinpflaster lagen Leichen. Das waren nicht die vier letzten Patienten von Dr. H., sondern Menschen, die tagsüber hier eingesperrt und später erschossen worden waren.
Pfefferberg schätzte ihre Zahl auf sechzig bis siebzig; er hatte keine Zeit, die Leichen zu zählen, erkannte aber einige der Toten, denn er war in Krakau aufgewachsen und mit seiner Mutter in vielen Bürgerhäusern gewesen, hatte auch selber unzählige Bekannte im Zentrum und in den Außenbezirken. Aus einem ihm unerklärlichen Grunde kam es ihm nicht in den Sinn, nach den Leichen von Mila oder dem Ehepaar H. zu suchen.
Nun erblickte er auf der Wegierskastraße Menschen, die sich Richtung Rekawkator bewegten, schlurfend wie Arbeiter, die noch verschlafen an einem Montagmorgen zur Fabrik gehen. Er bemerkte unter ihnen Nachbarn aus der Jozefinskastraße, gesellte sich zu ihnen und fragte nach Mila. Die sei schon weg, hieß es. Das Sonderkommando sei dagewesen; Mila sei schon unterwegs nach Plaszow.
Darauf hatten sich die beiden vorbereitet. Sollten sie getrennt werden und einer von beiden nach Plaszow kommen, sollte der andere versuchen, draußen zu bleiben. Falls es Mila träfe, die sehr litt, wenn sie hungrig war, würde er versuchen, sie von draußen mit Lebensmitteln zu versorgen. Daß dies möglich war, bezweifelte er nicht. Es fiel ihm aber sehr schwer, sich an diese Vereinbarung zu halten, denn der Anblick dieser Menschen, die, kaum von der SS bewacht, den Weg nach Plaszow antraten, sprach Bände: Sie alle glaubten, daß es dort am sichersten sein werde.
Es dunkelte schon, doch war die Luft klar, als ob es zu schneien anfangen wolle. Pfefferberg gelang es, in eines der offenbar verlassenen Häuser zu schlüpfen, wo sich trotz alledem noch Menschen verborgen halten mochten, jene nämlich, die glaubten, daß, einerlei wohin die SS sie führte, am Ende mit Sicherheit der Tod warte.
Pfefferberg gelangte durch Hinterhöfe auf den Holzplatz in der Jozefinskastraße, und das hier gestapelte Holz schien ihm ein gutes Versteck abzugeben. Durch das Hoftor konnte er gut sehen, was auf der Straße vorging: Leute kamen vorbei, die meisten hatten es eilig, ans Tor zu gelangen, und warfen unterwegs Gepäck ab, alles säuberlich etikettiert. KLEINFELD las er, LEHRER, BAUM, WEINBERG, SMOLAR, STRUS, ROSENTHAL, BIRMAN, TEIT-LIN.
Dann hörte er Hunde bellen, und drei SS-Leute erschienen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, deren einer zwei Hunde führte.
Die zerrten ihren Herrn in das Haus Jozefinskastraße Nr. 41, während die beiden anderen Männer draußen blieben. Gleich darauf hörte man eine Frau schreien und sah sie auch schon aus dem Haus stürzen, samt ihrem Kind. Der Hund hatte sich in sie verbissen. Der Hundeführer packte das Kind und schleuderte es gegen die Hauswand, ein Schuß machte dem Schreien der Frauen ein Ende.
Ohne recht zu wissen, was er tat, verließ Pfefferberg sein Versteck, das ihn vor den Hunden nicht schützen konnte, trat auf die Straße und ging mit abgezirkelten Schritten auf den Haufen von Koffern und Bündeln zu. Hier begann er, die Gepäckstücke aus der Straßenmitte zu entfernen und aufzuschichten. Er hörte die drei SS-Leute näher kommen, tat aber, als sähe er sie nicht. Erst als sie ganz nahe waren, blickte er auf. Ihre Uniformen waren blutbespritzt, aber es machte ihnen nichts aus, sich so vor Menschen zu zeigen. Der in der Mitte gehende Offizier überragte die beiden anderen, er sah nicht aus, wie man sich einen Mörder vorstellt, er hatte im Gegenteil ein sanftes Gesicht. Pfefferberg griff zu einem verzweifelten Mittel: Er kehrte sich dem Offizier zu, trat vor, knallte nach polnischer Manier, so gut es gehen wollte, die Hacken zusammen und machte militärisch Meldung. Ihm sei befohlen worden, die Straße vom Gepäck frei zu machen.
Große Hoffnung davonzukommen, machte er sich .nicht, allein schon nicht wegen der Hunde, die kaum zu bändigen waren. Und wenn die Frau mit dem Kind es nicht geschafft hatte, was sollte da schon seine Geschichte von wegzuschaffenden Bündeln und Koffern nützen?
Doch der Offizier schien sich über Pfefferberg zu
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